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BIOGRAFIE

Ich bin am 4. April 1961 in Linz auf die Welt gekommen. Und das nicht freiwillig: Mit einer Saugglocke wurde ich in diese Welt gezerrt, was zu einer zeitweiligen Verformung meines sonst so wohlgestalteten Kopfes führte.

Auch die Schulbildung ließ ich nur widerwillig über mich ergehen. Wogegen ich mich aber am meisten sträubte, war die Kappe, die mir meine wohlwollende Mutter für den Schulweg aufdrängte. Diese Kappe lernte ich erst zu schätzen, als sie mir eines Tages ein Raufbold (der Buchberger Werner) vom mittlerweile wieder rückverformten Kopf riss und sie vor ein fahrendes Auto warf. Der Raufbold erhielt die einzige Ohrfeige, die ich je in meinem Leben jemanden verpasste, was in Anbetracht meiner eher schwächlichen Konstitution nicht viel Wirkung zeigte. Die besagte Kappe aber trug ich seit damals mit größtem Stolz, allen Raufbolden zum Trotz. Und als dann die Zeit kam, mich von der Kappe zu trennen, war ich schon acht Jahre alt.

In diese Zeit fiel auch die Übersiedelung unserer Schule auf die andere Seite der Westbahn der geteilten Ortschaft St. Valentin. Wer damals etwas auf sich hielt, legte den Schulweg mit einem Tretroller zurück. Ich hielt zwar etwas auf mich, aber meine Eltern konnten es sich nicht leisten, mich mit so einem teueren Gefährt auszustatten. Einmal aber war mein Cousin Edgar krank, und er borgte mir seinen Tretroller. Voller Stolz trat ich den Schulweg an und fühlte mich als King Of The Road. Dieses Hochgefühl dauerte aber nur kurz, denn ein Raufbold und zugleich ortsbekannter Kraftlackel (der Hochwallner Fritzi) gab mir einen derart kräftigen Tritt in den beim Tretrollerfahren doch sehr exponierten Hintern, dass ich den Roller den restlichen Schulweg schieben musste, und somit eine eher traurige Gestalt abgab. (Raufbolde gab es damals zum Saufuttern, und schön langsam wurde ich zum überzeugten Pazifisten).

Ich komme jetzt besser auf meine musikalische Karriere zu sprechen. In der Volksschulzeit wurde meine Sängerlaufbahn von meiner Lehrerin insofern gefördert, als sie mir zu Anfang jeder Singstunde eine Ohrfeige verpasste. Daraufhin traute ich mich nicht mehr zu singen, woraufhin mich die Lehrerin mit neuen Ohrfeigen zum Weitersingen ermunterte. Gegen Ende des Schuljahres fand in Stadt Haag ein Schülerwettsingen statt, an dem ich aber nicht teilnahm.

Mit zwölf Jahren begann ich Geigenunterricht zu nehmen. Nach einem Jahr sollte ich meinen ersten Auftritt haben: Beim Jahresabschlusskonzert der Musikschule sollte ich Kein Schöner Land Zu Dieser Zeit spielen. Mein Name war auf den Ankündigungszetteln abgedruckt, groß war die Aufregung beim Ankauf eines passenden Anzuges und des dazugehörigen Mascherls, aber zum Auftritt kam es dennoch nicht: Bei der Generalprobe spielte ich derart erbärmlich, dass mich der Musikschuldirektor kurzerhand vom Programm strich. Ich unterbrach daraufhin meine Geigerlaufbahn für ein paar Jahre.

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre ging ich auf das Oberstufenbundesrealgymnalsium Perg, wo ich wieder Geigenunterricht genoss. Weniger Genuss war das für meinen verehrten Geigenlehrer Josef Gattringer, der mir für jede Musikstunde ein Stück freier Wahl aufgab. Und fast jedes Mal spielte ich Lang Lang Ists Her, nur einmal spielte ich Näher Mein Gott Zu Dir. Dafür spielte ich in dieser Zeit in vielen Bands: E-Gitarre bei THE SLING WAY, Keybords bei den HOUND DOGS, THE ROCKIN´ SPLASH, KARLINGER JOE´S FREUNDEN und bei THE SIGMA, Banjo bei MOTTL UND DIE WAMPERTEN, THE BIG MOTT und UNCLE ROBBIES FAVORITS und Geige beim Folkduo TSCHUSCH UND HASENBAUER, das ich mit Klaus W. Hasenbauer gegründet hatte.

Ich spielte mit all diesen Formationen auf regionalen Festivals, auf Partys, auf Bällen und in einem Bordell.

Anfang der 80er Jahre war ich der erste Schüler Österreichs, der wegen eines "Nichtgenügend" in Turnen nicht zur Matura zugelassen wurde. Daraufhin kehrte ich sowohl der Schule als auch meiner Heimat den Rücken und ging als Kochlehrling nach Hintertux, wohin ich auch meine Geige und meine Gitarre mitnahm. An manchen Abenden spielte ich in den Hintertuxer Lokalen Gitarre, wofür ich mit Bier belohnt wurde. Allerdings wollten die meisten Gäste nicht meinen Rock´n´Roll hören, sondern Die Lustigen Rittersleut, das Scheiße-auf-den-Autoreifen-Lied oder (tiefster Abstieg!) das Kufstein-Lied. Bald wurde ich dieser Art zu musizieren überdrüssig, wie ich auch des Tiroler Gastgewerbes mit seinem eigenartigen Berufsethos und der ewigen Hetzerei schon lange überdrüssig war.

Ich kehrte zurück in meine Heimat, wo ich mich mit Gelegenheitsjobs redlich nährte. Allerdings rückte dabei meine Freude am Musizieren in den Hintergrund.

Erst als ich nach vielen Abenteuerfahrten Ende der 80er Jahre nach Wien zog, um das ehrenwerte Gewerbe eines Tankwartes auszuüben, wendete ich mich wieder der Musik zu. Drei Jahre übte ich unermüdlich das Gitarre- und Geigenspiel, wofür mein damaliger Wohnungskollege, Herr Götz Bury viel Geduld und Verständnis aufbrachte.

Mediale Beachtung fand vorerst allerdings nur meine Textertätigkeit für meinen Cousin Edgar, der als JOHNNY MOT den Austropop umkrempelte. Mit ihm brachte ich es sogar zu einem Fernsehauftritt: Sein Keyborder hatte zum Sendetermin keine Zeit, und so sprang ich für ihn ein. Mein Cousin gab daraufhin das Johnny Mot Projekt auf und ist nun mit anderen und unterschiedlichen Musikprojekten aktiv.

Mit meinem Eintritt in die Universität Wien – mittlerweile hatte ich die Matura nachgeholt – war ich bei folgenden Musikprojekten beteiligt: BIG BULL DOZZER AND THE FLYING BULLDOGBOYS FEATURING BERNIE BATTACK AND OBERBATTACK, JERRY COOL AND THE FROSTERS, beim ROBERT STOLZ GEDÄCHTNISCHOR, bei THE FRIENDLY BOYS, WE PLAY ´TILL YOU PAY sowie bei MOTTAS UND PICHLER. Gemeinsam mit Christoph Pichler komponierte und textete ich unseren Beitrag zum Songcontest: Wenn Ein Haus Brennt, der allerdings nicht angenommen wurde.

Ich bin wieder in die Heimat zurückgekehrt, arbeite als Redakteur in Perg, dem Ort, in dem ich meine beschissene Schulzeit verbracht hatte und von dem ich seinerzeit behauptet hatte, dass ich nie wieder meinen Fuß in dieses "elende Kaff " setzen würde.
Mittlerweile hat mich Perg davon überzeugt, alles andere als ein elendes Kaff zu sein, sondern vielmehr eine charmante – wenngleich etwas verschlafene – Stadt mit durchwegs liebenswürdigen BewohnerInnen.

Zur Zeit spiele ich in einer Band: BIG BULL DOZZER AND THE FLYING BULLDOGBOYS Noch eine Band wartet nur noch darauf, einen Proberaum zu finden: THE FLATCATS. Diese Band könnte mit Fug und Recht als Sensation angepriesen werden: Keine geringeren als Charly Lechner, Edgar Mottas und meine Wenigkeit wollen eine Rockin' Splash Revival Band formieren.

Zum Wahrheitsgehalt dieser Biografie:

Da diese Biografie gern für bare Münze genommen wird, erkläre ich feierlich: Ein Drittel der Biografie entspricht der Wahrheit, für ein Drittel enthält ein Körnchen Wahrheit und ein Drittel ist erstunken und erlogen.

Aktualisierung, Jänner 2006:

Nach wie vor bin ich Redakteur der selben Wochenzeitung, doch nicht mehr in Perg sondern mittlerweile in Amstetten, einer Stadt deren allfällige Liebenswürdigkeit sich mir noch nicht erschlossen hat. (Kann ja noch werden...)

Einschub, 14.11.2008:

Schon seit langer Zeit kenne und schätze ich jetzt die Liebenswürdigkeit der Stadt Amstetten. Sträflicherweise habe ich es verabsäumt, diesen Teil meiner Website zu aktualisieren und ich danke der Kulturstadträtin Ulrike Königsberger-Ludwig für diesen Hinweis.

Vor allem schätze ich in Amstetten die vielfältige und reiche Kulturszene, die mir immer wieder die Gelegenheit gibt, tolle Veranstaltungen zu besuchen. Die vielen Ausstellungen und Konzerte der Region sind nicht nur kulturelle Ereignisse, sondern auch eine gute Möglichkeit interessante Menschen zu treffen und anregende Gespräche zu führen oder ein bisschen zu plaudern. Dass Amstetten auch eine soziale, tolerante und offene Stadt ist sage ich nicht weil ich mich einschmeicheln will: Als Redakteur habe ich ja ein bisschen Einblick und weiß wovon ich spreche.

Eine Institution möchte ich besonders hervorheben: Das Café Zum Kuckuck, das viel mehr als ein Café ist; nämlich ebenfalls eine Kulturinstitution.

Weiter im Jahr 2006:

Aus den FLATCATS ist es dann doch nichts geworden, zwei Proben und ein Live-Auftritt, mehr war leider nicht drin. Aaaaaber: eine heiße neue Band darf ich bekannt geben: Der Redakteur Hannes Fehringer (Gitarre, Banjo, Slide-Dobro, Mandoline, Gesang), die Fotografin Doris König (Gitarre, Gesang) und ich (Gitarre, Geige, Gesang) haben uns zu einer Hillbilly-Band zusammen getan. Wir haben noch keinen Namen, was ein gutes Zeichen ist. Denn wenn alle Musiker, die je bekannt gegeben haben, sie würden gern mit mir spielen und das auch wirklich ernst meinten und wo es dann doch nichts draus wurde, wenn die alle auf einer Bühne stehen würden, dann hätte ich eine gigantische Big Band beisammen. (Alleine die Rhythmusgruppe würde drei Schlagzeuger, vier Pianisten, einen (!) Bassisten und sieben Gitarristen aufweisen). Mit vielen dieser Wunsch-Musikpartnern hatte ich noch vor der ersten Probe (die dann eh nicht statt gefunden hat) bereits einen Bandnamen.

Aktualisierung Jänner 2007:

Stellen Sie sich das vor: obwohl wir einen Bandnamen haben gibt es uns noch immer. So zirka einmal pro Woche mache ich mit Hannes Fehringer Hausmusik: Wir breiten all unsere Instrumente aus und jammen dann nach Herzenslust. Ginge es nach dem Hannes würden wir nur Bluegrass spielen. Ginge es nach mir würden wir nur Blues und Rock'n'Roll spielen.
Regelmäßig treten wir beim Tauschabend im Ennser Kulturzentrum d'Zuckerfabrik auf und haben großen Spaß daran.

Ah den Bandnamen wollen Sie wissen? Lens'n'Pens. Bis uns was gescheiteres einfällt zumindest.

Aktualisierung Jänner 2008

Unser Bandname hat sich leicht verändert und schreibt sich jetzt "Lens-n-Pens". Eigentlich geht diese Schreibung auf einen Irrtum zurück, als einer Veranstalterin den Namen übers Telefon buchstabierte. Nach wie vor spielen wir Bluegrass, Rock'n'Roll und ein bisschen Blues. Nur der Hannes hat sich zu seinen Banjos, Mandolinen, der Gitarre und der Dobro jetzt eine Elektro-Lapsteelgitarre gekauft (Spitzname "Jausnbrettl"), eine Akkustik-Lapsteelgitarre und eine Ukulele. auch noch.

Aktualisierung März 2009

Jetzt haben wir doch einen neuen Namen. Kurzfristig nannten wir uns "Mähdrescherhilfe Mostviertel". Unter diesem Namen haben wir allerdings weder geprobt noch live gespielt. Unser aktueller Name lautet "The Flatcat Ramblers". Bei unserem Kurzauftritt beim Tauschabend in der Zuckerfabrik, am 6. März 2009, gaben wir der Welt den neuen Namen bekannt.

Aktualisierung September 2009

Die Flatcat Ramblers bestehen mittlerweile aus vier Musikern: Walter Bayer, Hannes Fehringer, Norbert Mottas und Markus Riegler. Am 19. September gab es im Schloss Ulmerfeld das erste Konzert in dieser Besetzung.

Aktualisierung im Oktober 2012

Uns gibt's immer noch; wir heißen immer noch "Flatcat Ramblers" und mittlerweile sind wir sogar zu fünft: Walter Bayer (Bass, Gesang), Gabi Bayer (Mandoline), Hannes Fehringer (Gitarre, Dobro, Mandoline, Banjo, Gesang), Norbert Mottas (Gitarre, Fiddle, Gesang) und Markus Riegler (Harps und Gesang)

Die Monkwood Boys


Mit Zerknirschung muss ich zu Protokoll geben, dass ich diese Homepage sehr nachlässig führe und das zeigt sich unter anderem daran, dass ich die Monkwood Boy noch gar nicht erwähnt habe – obwohl es uns schon seit über zehn Jahren gibt.


Die Geschichte der Monkwood Boys begann im Dezember 2013. Der Gitarrist Markus Windhager fragte mich, ob ich Lust hätte, eine Rockabilly Band zu gründen. Das freute mich sehr, da ich immer schon in einer Rockabilly Band spielen wollte, selbst aber nur Rhythmusgitarre kann.

Wir setzten uns zusammen und überlegten, welche Nummern wir spielen könnten und stellten eine kleine Liste zusammen. Das waren vor allem Lieder des frühen Elvis Presley.

Im Jänner 2014 fand unsere erste Probe im Proberaum im Keller des Hauses von Markus in Steyr statt. Damals noch in einer anderen Besetzung als aktuell. Markus Windhager an der Leadgitarre, Charly Eichenauer am Schlagzeugt, ich Rhythmusgitarre und Gesang. Unser Bassist Jo Bauer konnte noch nicht mitproben, da er noch eine Fußoperation absolvieren musste.

Als es galt, einen Bandnamen zu finden, erwogen wir „Bearing Balls“, da der Proberaum im Kugellagerweg liegt. Aber zwei, des Englischen mächtigeren Freundinnen rieten uns ab, einen Namen mit „Balls“ zu nehmen, das könnte zu Missverständnissen führen, da im Englischen „Balls“ für „Hoden“ verwendet wird. (Da bekommt „Great Balls of Fire“ gleich eine andere Bedeutung – aber diesen Song haben wir eh nicht im Repertoire.)

Um dem Steyrer Stadtteil, in dem wir proben – Münichholz – die Ehre zu erweisen, wählten wir den Bandnamen „Monkwood Boys“. „Boys“ ist auch gut. Wir alle sind mittlerweile im besten Alter und spielen Musik, die für Teenager der USA der 50er-Jahre komponiert – und vor allen getextet – wurde.

Jeden zweiten Dienstag trafen wir uns und erarbeiteten mit Freude ein feines Repertoire mit Nummern von Elvis Presley, Carl Perkins, Eddie Cochran, Chuck Berry, Gene Vincent Buddy Holly und anderen der Kategorie.

Wir probten zwar viel und mit Freude aber für einen öffentlichen Auftritt wollten wir noch unser Repertoire erweitern.

Wir spielten auf zwei Geburtstagspartys im Freundeskreis und unser erster größerer Auftritt  war  beim Bergrettungsheurigen 2017 in Amstetten.

Im Jahr 2017 gab es eine Umbesetzung am Schlagzeug. Charly Eichenauer hatte aus beruflichen Gründen keine Zeit mehr fürs Proben und er empfahl uns als Nachfolger Ernst Winkler.

In dieser Besetzung spielen und proben wir seither – so gut wie jeden Dienstag – und arbeiten weiter an unserem Repertoire.

Gern denken wir an Auftritte in der „Linie 1“ in Steyr, im „Gwölb zu Feldpichl“ in Neuhofen/Ybbs und in „Das Café“ in Mischendorf.

Nächste Konzerte:

20. April 2024 im „Gwölb zu Feldpichl“ in Neuhofen/Ybbs

8. Juni 2024 in „Das Café“ in Mischendorf (open air, nur bei trockenem Wetter)

 

 

 

                                                                                                                  

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ATOME

Landläufigerweise stellt man sich Atome als Kugeln vor, die von kleineren Kugeln umkreist werden.

Genausogut könnte man sie sich als Esel vorstellen, die an Kirtagen mit Kindern am Buckel auf einer Wiese im Kreis geführt werden.

Oder man kann sich Atome als Massenschlägerei bei einem Volksfest vorstellen.

Man liegt nicht richtiger und auch nicht ganz daneben, wenn man sich Atome als Fenster vorstellt, die der Wind aufreißt, und dann wieder zufallen lässt, um sie gleich wieder aufzureißen und zufallen zu lassen. Solange, bis es jemanden auf die Nerven geht.

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DR. LECHNERS BLUTJUNGE BRIEFTRÄGER DES GRAUENS

Der eine Briefträger heißt Franz und ist 35 Jahre alt. Den anderen werden Sie noch früh genug kennen lernen. Nur so viel zu seiner Person: Er heißt auch Franz und ist ebenfalls 35 Jahre alt. Ihrer beider Chef heißt Dr. Franz Lechner. Dieser ist 70 Jahre alt. Und somit sind wir schon mitten drin in der spannendsten Handlung: Sie verläuft entlang des Handlungsstranges, der den narrativen Bogen an zwei Punkten schneidet: Punkt A ist die Schnittstelle, an welcher der erste Briefträger Franz in die narrative Struktur eingeflochten wird. Zu diesem Behufe erhält er von Dr. Franz Lechner einen heiklen Auftrag. Dieser Auftrag führt ihn entlang der narrativen Achse ins Ungewisse.

Der andere Briefträger Franz betritt die Geschichte am Punkt B und folgt der narrativen Achse zum Punkt A. Dort trifft er mit dem ersten Briefträger Franz zusammen, und es stellt sich eine frappierende Ähnlichkeit der beiden Briefträger heraus. Diese Ähnlichkeit beschränkt sich nicht nur auf das äußere Erscheinungsbild sondern erstreckt sich auch auf die inneren Wesensmerkmale der Briefträger. Diese schwach ausgeprägte Differenzierung der Charaktere bewirkt eine Unschärfe im Handlungsablauf die noch dadurch verstärkt wird, dass beide Briefträger entlang der selben narrativen Achse agieren. Gerade diese Unschärfe verstärkt wiederum den Eindruck einer destabilisierenden Ungewissheit, die allmählich auch auf Dr. Lechner überspringt. Dr. Lechner schwebt in seiner Omnipräsenz in einer dritten Dimension über dem narrativen Bogen und betritt somit auch an keinem Punkt die narrative Achse.

Symmetrisch zur Platzierung Dr. Lechners über dem narrativen Bogen befindet sich unter dem narrativen Bogen das unpersonifizierte Schicksal. Diese beiden dipolischen Positionen, oben Dr. Lechner: Chef der Briefträger und somit aktiv Gestaltender, unten das Schicksal, jeder aktiven Gestaltung entgegenwirkend, evozieren eine die gesamte Erzählung prägende Dialektik.

Zur Geschichte selbst:

In einem kleinen Dorf im Mühlviertel kommt der Postautobus mit zehn Minuten Verspätung an. Er hält direkt vor dem Postamt. Dr. Franz Lechner, der sich gerade auf dem Weg zum Kirchenwirt befindet, grüßt den Chauffeur und lädt ihn zu einem Imbiss ein. Zur Jause trinken die beiden mehrere Krügerl Bier, und nachdem der Wirt die Jausenbrettl und das Brotkörberl weggeräumt und einen Brezerlständer mit Bierbrezerl gebracht hat, holt Dr. Franz Lechner einen Stapel Schnapskarten aus der Tasche.

Die beiden Briefträger Franz betreten das Lokal, rufen dem Wirt ihre Bestellungen zu und begeben sich an den Tisch, an dem Dr. Franz Lechner und der Chauffeur sitzen. Viererschnapsen ist angesagt. In den Spielpausen werden die Spielverläufe diskutiert, was mitunter zu hitzigen Debatten führt: "Waun du ned zuadraad hädsd, häd i an dswandsga ausong kena, daun häd da Peeda sein Kini ausspühn miasn, daun warad ..." "Bisd deppad? Waun i ned dsuadraad häd, daun häd da Fronds in Weli ..."

Dr. Franz Lechner schüttelt ungläubig den Kopf, zündet sich eine Falk an und nimmt dann einen tiefen Zug aus dem Bierglas: Schau an, schon wieder leer!

Am Nebentisch nehmen nun Ortsfremde Platz. Zwei Paare. Ihrer Kleidung nach Urlauber, die sich nach einer Wanderung stärken. Ihrer Sprache nach Norddeutsche. Die Urlauber studieren die Speisekarte und entscheiden sich für Gefüllte Paprika. Sie sind gut gelaunt und plaudern harmlos über die schöne Wanderung.

Der eine Briefträger Franz geht zur Toilette, wodurch das Kartenspiel für kurze Zeit unterbrochen wird. Der andere Briefträger Franz, Dr. Franz Lechner und der Busfahrer schnappen Gesprächsfetzen der Urlauber auf.

Aus ungeklärter Ursache reagieren manche Österreicher allergisch auf deutsche Urlauber und nehmen es geradezu persönlich, dass Deutsche für manche Speisen eigene Ausdrücke verwenden. Und wenn Deutsche dann noch die Frechheit besitzen, gut gelaunt zu sein und sich über ihren Urlaub, die schöne Landschaft und das gute Essen zu freuen, dann schlägt das dem Fass den Boden aus. Der andere Briefträger Franz, Dr. Franz Lechner und der Busfahrer blicken zur Decke und nicken sich dann zu, um sich ihrer Übereinstimmung in der Einstellung zu deutschen Urlaubern zu vergewissern. Als der eine Briefträger Franz vom Klo zurückkommt, geht er am Tisch, an dem die Urlauber sitzen, vorbei und zeigt seinen Kartenpartnern ebenfalls einen Blick zur Decke.

Die Deutschen bemerken vorerst nichts und besprechen den Nachtisch. Einer der Deutschen verwendet das Wort "Quark". "Des hasd bei uns Dopfm!" sagt der Busfahrer laut und schaut dabei Dr. Franz Lechner an. Die Deutschen fühlen sich nicht angesprochen und bestellen Kàffe mit Sahne.

Der Busfahrer ruft dem Wirt nun laut eine Bestellung zu: "Kàffe mit Sahne und 'ne Käsesahnetorte!" wobei er sich bemüht, eine norddeutsche Aussprache nachzuäffen.

Der Wirt versteht den Schmäh und bringt ein Bier, die Deutschen missverstehen die Schmähung und halten das für eine sympathische Art der Österreicher zu grüßen. Einer der Deutschen ruft dem Kartlertisch zu: "Eine schöne Gegend haben Sie hier!" Seine Frau sagt: "Und so nette Leute!" Dr. Lechner brummt: "Nojo. Des scho." Und hat ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Auch der Busfahrer denkt sich, es gibt doch ein paar nette Deutsche, und als Sühne für seine Schmähung bestellt er eine Runde Stamperl für die Deutschen. Die lassen sich nicht lumpen und ordern ihrerseits eine Runde für den Kartlertisch.

Um es kurz zu machen: Es wurde ein furchtbares Saufgelage, irgendwann begannen die beiden Briefträger, der Busfahrer, Dr. Franz Lechner ("sogds Frandsl zu mia!") und die Deutschen zu singen. (Die lustigen Rittersleut, Das Kufstein Lied, Am Bruuuunnen vor dem Toooore, Oh wie woooohl ist miiiiiiir am Aaaaaaaabend (als Kanon!) ...)

Wenn Betrunkene singen, dann gelten eigene Harmoniegesetze. Betrunkene singen immer mehrstimmig. Am schönsten ist Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaveeeeeee Mariiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii-ijaah!, dargeboten von einem betrunkenen Madrigalchor. Auch das Wolgalied hat es in sich, aber da gibt es immer die Diskussionen, wie der Zwischenteil geht.

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AUCH EINE ART ZU TELEFONIEREN

Wenn ich meine (mittlerweile Ex-)Freundin anrufen wollte, dann passierte es oft, dass sie mich mit einem Redeschwall am Telefon überfiel und mir gar keine Gelegenheit gab, den Grund meines Anrufes auszusprechen.

Sie: Waldfischer. (?)

Ich: Hallo, da spricht der Norbert.

Sie: Da Stefan und i, mir schaun uns gråd an Füm an, wo da Teddy Floydt mitspüt, und jetzt san grod die Gauner in a Haus gångan, wo a gfesslta Polizist drin sitzt, und des is sooo lustig, wei vorher håmma uns an Füm angschaut, wo a a gfesslta Polizist voakomman is, und dazua trink ma an Martini, und jetzt håm die Gauna in Polizistn daschossn und - STEEFANN! (Kreisch!) Uahuhuhuhuhuu! (Lachanfall) Jetzt hot a ma scho des zweite Glasl Martini aufs Gleid gschütt! Oba jetzt muaß i aufhean, wei jetzt kommt glei die Werbung! Tschühüß! STEEFANN! (Kreisch!).

Aufgelegt.

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BIG BULL DOZZER UND DER PAPRIKA

(Aus dem Zyklus: Tauben in der Welt der boshaften Physik)

Was vom Paprika übrig geblieben war, lag nun als riesiges Ungetüm in der Gegend. Die weißen Tentakel, an denen noch Kerne hafteten, ragten wie klagende Arme in den Himmel. Bald würden sich dort Tauben einnisten, und ihr Kot würde sehr schnell den Paprika bedecken. Dann würde nichts mehr daran erinnern, dass hier Big Bull Dozzer Rast gehalten und eine Wurstsemmel und einen Paprika verspeist hatte.

Big Bull Dozzer war aufgestanden und weiter gegangen, als er noch am letzten Bissen seiner Wurstsemmel kaute. Er hatte nun Durst. An alles hatte er gedacht, bei seinen Reisevorbereitungen, nur nicht an Getränke. Und so wie die Dinge standen, würde er erst am Abend in Alimonia eintreffen. Er freute sich schon auf das Bier in Carinthia's Pub. Das war der einzige Ort in Alimonia, wo man vernünftiges Bier bekommen konnte. Doch bis dorthin war es noch ein breiter und staubiger Weg. Big Bull Dozzer verfluchte die Idee, ausgerechnet die scharfe Ziegenwurst in die Semmel gepackt zu haben. Und die Sonne brannte ihm unbarmherzig ins Genick. Ein Motorengeräusch riss Big Bull Dozzer aus seiner Verzweiflung. Er bemerkte schon aus der Ferne, dass sich ein einsames Campingmobil näherte. Big Bull Dozzer handelte rasch: Er legte sich auf die Straße und stellte sich ohnmächtig. Wie erwartet hielt das Campingmobil. Ein älteres Ehepaar stieg aus. In dem Augenblick, als sich der Mann über Big Bull Dozzer beugen wollte, sprang jener auf, packte diesen mit beiden Händen am Kragen, schüttelte ihn und schrie: "Okay, ihr Lieben: Wenn ihr hier irgendwo Bier im Wagen habt, dann rückt ganz schnell damit heraus!" Die erschrockene Frau stieg in das Wohnmobil und holte aus dem Kühlschrank zwei Dosen Bier und die Kassette mit der Urlaubskasse. Das stellte sie ohne zu sprechen vor Big Bull Dozzer hin. Dieser schrie: "Ich will nur das Bier, kein Geld, verstehst du!" Während er den Mann noch immer mit der Linken festhielt, griff er sich mit der Rechten in die Gesäßtasche, holte einen Geldschein hervor und stopfte ihn dem Alten in die Hemdtasche. "So", schrie er, "das ist fürs Bier! Und jetzt fahrt weiter, ich mag keine durstigen Leute in meiner Nähe haben, wenn ich mein Bier trinke." Als die beiden ins Auto stiegen, schrie er: "Euer Geld! Euer verdammtes Geld! Ihr habt das Geld vergessen." Er nahm die Kassette und reichte sie der Frau, wobei er mit plötzlich väterlicher Stimme sagte: "Wie kann man nur so leichtfertig sein."

Als die beiden abgefahren waren, setzte sich Big Bull Dozzer an den Straßenrand und trank die beiden Dosen Bier. Die erste für den Durst und die zweite wegen der Anstrengungen. Dermaßen gestärkt, setzte er den Weg nach Alimonia fort.

Kurz nach Einbruch der Dunkelheit erreichte Big Bull Dozzer sein Ziel: Carinthia's Pub in Alimonia. Dieses war nach alter Westernart eingerichtet, mit zwei Schwingtüren als Eingang. Big Bull Dozzer trat dermaßen heftig ein, dass die Schwingtüren noch eine Stunde lang hin und her schwangen. Er ging zur Bar und schrie: "Da bin ich wieder, und jetzt will ich ein Bier!" Ein Mann von sehr kräftiger Statur stand von seinem Tisch auf, trat auf Big Bull Dozzer zu, verabreichte ihm zwei schallende Ohrfeigen und brüllte: "Big Bull Dozzer, da bist du ja wieder!" Big Bull Dozzer schlug zurück und legte dann seine Pranke dem Gegenüber auf die Schulter und schrie: "Bonanza, du altes Haus!" Die Gäste in Carinthia's Pub waren das Spektakel, das sich hier alle paar Wochen abspielte, schon gewohnt und schenkten dem Ganzen keine Aufmerksamkeit. Nur eine leise Stimme sagte: "Big Bull Dozzer ist wieder da!" Aber das gehörte ebenfalls zum Ritual.

Von draußen kam nun der Lärm eines Motorrades mit defektem Auspuff, gefolgt vom Quietschen von bremsenden Reifen mit anschließendem lautstarken Geschimpfe.

"Ich glaube, W. Johnson ist da.", sagte Big Bull Dozzer mit fast normaler Stimme. "Ja, das muss W. Johnson sein.", antwortete Bonanza. Natürlich war es W. Johnson. Dieser war zwar stumm, sorgte aber ständig für Lärm, einerseits durch seine Ungeschicklichkeit, die ihn ständig über etwas stolpern oder etwas umstoßen ließ, andererseits durch sein Motorrad mit dem defekten Auspuff und auch durch seine Fahrweise, die das Geschimpfe anderer Verkehrsteilnehmer provozierte. Außerdem war W. Johnson Taubenzüchter. Sein größter Zuchterfolg bestand aus einer Taubenrasse, die sich durch besonders lautes Gegurre auszeichnete. Jedem Besucher von Alimonia fielen diese lärmenden Tauben auf. Schon seit Jahren kämpfte W. Johnson dafür, dass seine Tauben als eigene Rasse mit der Bezeichnung "Johnson Doves" patentiert würden.

Bei seinem Eintreten ins Pub versetzte ihm eine der Schwingtüren einen Schubs, der ihn mit einem derart kräftigen Schwung ins Lokal bugsierte, dass er vom ersten Tisch gleich zwei volle Biergläser wegfegte. Big Bull Dozzer sagte mit seiner väterlichen Stimme: "W: Johnson, was machst du schon wieder für Sachen!"

Mit W. Johnson war nun die Band "The Real Rough Ramblers" vollständig, die des öfteren in Carinthia's Pub auftrat. Das war eine mittelmäßige Country-Swing Band, die aber wegen der Schrullen der Musiker viel Publikum anzog, das sich dann auch bestens amüsierte.

Als auf der kleinen Bühne die Instrumente fertig aufgebaut waren, war Carinthia's Pub schon ziemlich gefüllt.

Doch gerade als das Konzert anfangen sollte, kamen zwei Polizisten ins Lokal, gingen zielstrebig auf Big Bull Dozzer zu, und der ältere der Polizisten fragte ihn in förmlichem Ton: "Sind Sie Fred Dozzman aus Santa Bernica?" Jener bejahte. Darauf sagte der Polizist: "Sie werden beschuldigt, heute ein Wohnmobil überfallen zu haben. Stimmt das?" Big Bull Dozzer bat die Polizisten an einem Tisch Platz zu nehmen, bestellte für jeden ein Bier und sagte mit der diesmal betont väterlichen Stimme: "Ja, das stimmt. Aber ich bin bereit, den Schaden wieder gut zu machen." Da er sich geständig und einsichtig zeigte, wurde er auf freiem Fuß angezeigt, womit das Konzert gerettet war.

Bonanza schnallte sich die Gitarre um, Big Bull Dozzer griff zum Kontrabass und der stumme W. Johnson setzte sich hinter das Schlagzeug.

Und dann geschah das Wunder: Anstatt, wie üblich, den Takt mit den Schlagzeugschlägeln vorzugeben, sagte W. Johnson plötzlich: "A one, a two, a one - two - three - four ..."

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FASCHING IN LINZ

(Aus dem Zyklus: Tauben in der Welt der boshaften Physik) 15.11.1993

Am 11.11. um 11 Uhr 11 beginnt der Fasching. Die Stadt Linz wird dieser Tatsache durch eine besonders originelle Zeremonie gerecht: Die Straßenbahnen bleiben um genau elfuhrelf stehen und klingeln den Fasching ein. Diese schöne Tradition lässt sich bis ins Jahr 1981 zurück verfolgen.

Entgegen aller Tradition war das Wetter am 11.11. des Jahres 1986 wunderschön: Die Sonne wärmte die Straßen, als wäre gerade Spätsommer oder zumindest Frühherbst. Unter klarem blauen Himmel und bei spätsommerlich warmer Temperatur blieben also am 11.11.1986 um 11 Uhr 11 die Straßenbahnen, wie gewohnt stehen, um den Fasching einzuläuten.

Nicht nur die Verkehrsbetriebe feiern den Beginn des Faschings, auch das Fremdenverkehrsamt. Dieses kürt jedes Jahr ein Faschingsprinzenpaar. Nur die schönsten Vertreter der Ortsjugend haben Chance, den begehrten Titel zu erwerben. Im Jahr 1986 waren ein besonders schmucker Prinz und eine Prinzessin von geradezu überirdischer Schönheit zur Regentschaft gewählt worden. Beide lächelten ungequält in die Kameras, die den Faschingsbeginn für das "Österreich Bild” aufzeichneten, als die Straßenbahnen anhielten, um zu bimmeln.

Die schöne Festlichkeit wurde allerdings durch eine Tragödie getrübt. Das Fremdenverkehrsamt wollte nämlich zur selben Zeit, als die Straßenbahnen zu bimmeln anfingen, einen Schwarm Tauben auffliegen lassen. Zu diesem Zweck waren über fünfzig Tauben in eine große Schachtel gesteckt worden, die ein Magistratsangestellter auf ein Zeichen des Fremdenverkehrsobmannstellvertreters hin öffnete. Allerdings kamen nur einige wenige Tauben aus der Schachtel geflogen, und deren Flugfiguren ließen auf einen stark angeschlagenen Gesundheitszustand schließen. Die meisten Tauben aber waren in der Schachtel verendet. Man hatte auf Luftlöcher vergessen. Diese traurige Szene war zwar im "Österreich Bild" nicht zu sehen, aber die zum Zwecke des Zujubelns herbestellte Öffentlichkeit konnte den Vorgang beobachten. Der Zujubel fiel dementsprechend dürftig aus und wurde von bösen Buh-Rufen und lauten Drohungen übertönt. Die ORF-Techniker mussten viel Arbeit aufwenden, um den Originalton durch eine Jubelgeräuschkulisse aus dem Archiv zu ersetzen und mit der zum Glück über ein eigenes Mikrophon aufgenommen Ansprache des Fremdenverkehrsobmannes abzumischen.

Genau zur selben Zeit bebte in Linz die Erde. Gerade stark genug, dass es die seismologischen Anstalten verzeichnen konnten, aber zu schwach, als dass es ein Mensch mit Sicherheit als Erdbeben einschätzen hätte können. Ganz sicher nicht registrieren konnte es Josef Mathamer, der auf seine Art den Fasching begrüßt hatte und nun nach einer Flasche Wein auch ohne Erdbeben wankte. Er befand sich am Pöstlingberg und sollte bald der einzige Zeuge eines historischen Ereignisses werden.

Ebenfalls im selben Moment wurde in einer geschmackvoll eingerichteten Linzer Bürgerwohnung im Beisein einer routinierten Hebamme ein Kind zur Welt gebracht, das seinen Eltern noch viel Freude bereiten sollte.

Von all dem ahnte Inspector Gamble im fernen nasskalten London nichts. Um 11 Uhr 11 mitteleuropäischer Zeit zog er gerade nachdenklich an seiner Pfeife. Sie war das einzige, das ihn mit seinem großen Vorbild Sherlock Holmes verband. Ansonsten waren keine weiteren Ähnlichkeiten mit dem berühmten Detektiv feststellbar. Auch war die Arbeit von Inspector Gamble nicht gerade von Erfolg gekrönt. Doch die Wende in seinem Leben war mit dem Klingeln der Straßenbahnen von Linz bereits eingeläutet, wenngleich er davon noch nichts ahnen konnte.

Denn all die geschilderten Ereignisse des 11.11.1986 sollten sich in naher Zukunft zu einer Konstellation zusammenballen, die mit Recht und Fug als erstaunlich eingestuft werden darf.

Damit aber alle Fäden, die das Schicksal zu einem Ganzen zusammen weben sollte, vorgestellt werden können, müssen wir noch einen Abstecher in eine ferne Galaxie machen.

Zeit ist nicht nur einen stumme Harfe, wie uns Anastasius Grün versichert, sondern auch relativ, wie man seit einiger Zeit weiß. Und damit ist auch der Begriff der Gleichzeitigkeit relativ, vor allem wenn zwei Ereignisse sehr weit von einander entfernt statt finden. Auf dem fernen Stern Karina, von dem uns Hans Flesch-Brunningen berichtet, gibt es weder November, noch Fasching, noch Straßenbahnen, die stehen bleiben, um letzteren einzuläuten. Und dennoch: Gäbe es so etwas wie eine intergalaktische absolute Zeit, dann wäre es just in dem Augenblick, in dem man auf der Erde den 11. November 1986 schrieb und in Linz die Straßenbahnen stehen blieben, um den Fasching herbeizuklingeln, gewesen als Grstlk-k Mnwhfstnkl (zu Irdisch etwa Detective O´Brian, die Transkription hinkt natürlich der karinischen Überregionalsprache nach!) einen heiklen Auftrag bekam. Dieser Auftrag bestand darin, eine neu entwickelte Düsenrakete zu testen. Zu diesem Zweck sollte Grstlk-k Mnwhfstnkl vor versammelter Prominenz zunächst einige tollkühne Flugfiguren vollführen und danach zu einem der vielen Karina-Monde fliegen. Bei einer bestimmten Mondbasis sollte er dann landen und der Belegschaft Grüße von der Kommandantur übermitteln. Bei der Gelegenheit könnte er dann auch gleich die Schmutzwäsche mitnehmen, stand in seinem Marschbefehl. Nicht im Marschbefehl stand die Bitte seines Chefs, dessem Sohn, der auf der Mondbasis seinen Präsenzdienst versah, etwas Taschengeld zuzustecken.

Die ersten Aufgaben absolvierte Grstlk-k Mnwhfstnkl programmgemäß, aber plötzlich war die Düsenrakete von den karinischen Monitoren verschwunden. Grstlk-k Mnwhfstnkl war mit seinem Raumschiff in eine physikalische Erscheinung geraten, die zu kompliziert ist, um hier beschrieben werden zu können. Und der Monitor seines Bordempfängers zeigte auf einmal nicht mehr das väterliche Gesicht seines Chefs sondern zwei Personen auf einem seltsamen Gefährt, die oberösterreichische Fernsehkonsumenten sofort als das aktuelle Faschingsprinzenpaar identifizieren hätten können. Kurzum: Grstlk-k Mnwhfstnkl empfing gerade die Sendung Österreichbild, in der der bereits geschilderte Linzer Faschingsbeginn gezeigt wurde. Dass auch die anderen Bordinstrumente keine für Grstlk-k Mnwhfstnkl sinnvollen Daten lieferten, kann angenommen werden. Grstlk-k Mnwhfstnkl aktivierte die für derartige Notfälle installierte "Lande Irgendwo"-Funktion seines Raumschiffes, was bewirkte, dass seine Rakete auf dem Linzer Pöstlingberg landete.

Zur gleichen Zeit liefen in Groß Britannien die Telefone heiß: Mitten in einer Übertragung einer Fernsehansprache der Queen war für die Zuseher zunächst kurz das väterliche Gesicht von Grstlk-k Mnwhfstnkl's Chef auf den Bildschirmen aufgetaucht und danach Österreichbild mit dem Linzer Fasching. Die Engländer konnten ja nicht wissen, dass die Störung von der physikalischen Erscheinung ausgelöst worden war, die Grstlk-k Mnwhfstnkl's Raumschiff auf die Erde verschlagen hatte. Jedenfalls war die Empörung groß, als auf den Fernsehgeräten ein eindeutig nichtbritisches und auch sonst nicht sehr royal wirkendes Regentenpaar auftauchte.

Der österreichische Botschafter, der die Sendung identifizieren hätte können, befand sich gerade auf einer Belgien-Reise, wo er mit weiteren österreichischen Botschaftern an einem Symposium zum Thema "Umwelt - Ernährung - Beziehungsprobleme" teilnahm. Für dieses Symposium wurde eine Live-Konferenzschaltung nach Linz installiert, auf dass ein renommierter Linzer Bio-Forscher mitdiskutieren konnte. Dieser verschwand allerdings plötzlich vom Bildschirm, statt dessen wurden Bilder von karinischen Beamten übertragen, die verzweifelt an für Erdenbewohner unbekannten Geräten hantierten. Sie versuchten, die Verbindung mit dem Raumschiff von Grstlk-k Mnwhfstnkl wieder herzustellen, empfingen aber nur Funkbilder einer Person mit einer komischen Kopfbedeckung, die in einer für Karinier unbekannten Sprache redete, die die Engländer wiederum als ihre Queen identifizieren hätten können.

Alle bisher geschilderten Ereignisse waren noch relativ unkompliziert, im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte. Allerdings war die sich nun einstellende Kompliziertheit dermaßen kompliziert, dass sie die Sprachkompetenz des Berichterstatters überfordert, weshalb auch auf eine weitere Schilderung verzichtet werden soll.

Zehn Jahre später:

Das Telefon am Schreibtisch von Inspector Gamble läutete. Inspector Gamble hob ab, aber noch bevor er etwas sagen konnte, rief eine Strimme: "Miss Peel, wir werden gebraucht!" Inspector Gamble sagte: "Miss Peel hat die Durchwahl 93, hier ist 39!" Die Stimme sagte: "Scheiße!" und legte auf. Inspector Gamble dachte, der Mann hat recht. Seine Pfeife war schon wieder ausgegangen. Kurz überlegte Inspector Gamble, ob er sie wieder anzünden sollte, aber dann legte er sie weg und holte sich eine Zigarette aus der Schublade. Wieder läutete das Telefon. Inspector Gamble seufzte und hob ab und sagte: "Klappe 39!" "Gamble, sind Sie das?" fragte eine Frauenstimme. "Bereiten Sie sich auf eine Dienstreise vor. Auftrag von Headley!"

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DER GROSSE WEISSE HUBSCHRAUBER

(Eine wahre Begebenheit)

Sie war auf die Terrasse hinausgegangen, da sah sie einen großen weißen Hubschrauber näher kommen. Der Hubschrauber blieb direkt über dem Garten hängen. Eine Gestalt sprang aus dem großen weißen Hubschrauber, ein blütenweißer Fallschirm öffnete sich und ein Mann landete im Garten. Er trug einen makellos weißen Smoking, weiße Lackschuhe und einen weißen Zylinder.

Der Mann ging auf sie zu, nahm sie in die Arme und küsste sie dermaßen stürmisch und leidenschaftlich, dass sie vor Wonne in Ohnmacht fiel. Als sie wieder zu sich kam, sah sie noch hoch über ihr den großen weißen Hubschrauber in einer großen weißen Wolke verschwinden.

Und wer war der Mann? Dan Tistmiller.

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DER LIEBLINGSBEATLE

Seit der Lektüre von Tom Robbins' "Buntspecht" weiß ich, dass ich nicht der einzige bin, der nach dem Lieblingsbeatle fragt, um die Psyche seines Gegenübers zu ergründen.

Also mein Lieblingsbeatle ist Ringo Starr. Ringo Starr ist der verkannte Beatle: Er könne nicht singen und nicht komponieren heißt es. Nur auf's Schlagzeug hauen könne er. Und nicht einmal das könne er besonders gut. Was alles wäre aus den Beatles geworden – heißt es – wenn Phil Collins Schlagzeug gespielt hätte.

Und trotzdem: Mein Lieblingsbeatle ist und bleibt Ringo Starr. Der frohgemute Außenseiter mit den depressiven Anwandlungen. (So will es die Legende!)

Meine erste Begegnung mit Ringo Starr: Während meiner Volksschulzeit bekam ich 50 Groschen Taschengeld pro Woche. Von meiner Großmutter. Ich habe ihr erklären können, wie wichtig es sei, die Abziehbilder zu kaufen, die es in Zweierpackungen in der Bäckerei Jordan zu kaufen gab. So eine Zweierpackung kostete einen Schilling. Daher genügten 50 Groschen pro Woche – befand meine Großmutter – und damit käme ich auf ein Abziehbild pro Woche. Das Argument, dass alle meine Schulkameraden zehnmal so viel Taschengeld bekamen, nutzte nichts. Ich konnte mir jede zweite Woche eine Zweierpackung Abziehbilder kaufen.

Die Abziehbildserien wechselten. Meine Lieblingsserie war die mit den Schifahrern. Der Star der Saison war Toni Sailer. Mein Lieblingsschifahrer allerdings war Harald Rofner, oder so ähnlich heißt er. Ich hatte ihn nie bei einem Schirennen gesehen (im Fernsehen versteht sich – Stichwort Eurovision: Ta taaa tata ta ta taaa ta, ta taa tata tatata tatata ta taa ta ... ). Schifahrübertragungen habe ich schon damals nicht wirklich gemocht, im Laufe meines Lebens lernte ich sie noch zu hassen. Doch davon später.

Oder jetzt gleich: Im BORG Perg war ich wahrscheinlich der einzige Mensch, den Sport nicht nur nicht interessierte, sondern, der ihn sogar verabscheute. Besonders langweilig fand ich Schirennen oder Fußballübertragungen. Wenn nun ein "wichtiges" Schirennen stattfand, dann durften wir es während des Unterrichts im Festsaal anschauen, vorausgesetzt wir waren brav. Zum Bravsein gehörte auch, dass man wirklich das Schifahren betrachtete, nicht aber z. B. etwas las. Sonst hieß es: Bedankt's Euch beim Mottas, dass Ihr jetzt wieder zurück zum Unterricht müsst. ("Bedankt's Euch beim Mottas" – wie oft hatte ich das gehört. Zum Glück waren nicht alle KollegInnen dankbar.)

Ich erinnere mich an den ersten Schikurs im Rahmen des BORG Perg. Die Schikurse, die ich als Schüler des BRG Steyr besucht hatte, hatten mir viel Spaß gemacht, aber der mit den Perger Mitschülern, war die Hölle. Ich kannte den Terminus "Mobbing" noch nicht, aber bei dem Schikurs hatten sich fast alle gegen mich verschworen, und spielten mir viele böse Streiche. Der einzige, der mich freundlich behandelte, war der Werner Gruber. Bei der Heimfahrt von diesem Schikurs legten wir eine Pause in einem Wirtshaus ein, um ein "wichtiges" Schirennen zu sehen. Bei diesem Rennen gewann ein Österreicher (Karl Schranz? Franz Klammer?). In ihrer Begeisterung begannen alle MitschülerInnen und LehrerInnen zu toben und zu brüllen und zu tanzen, nur ich blieb sitzen und bekam es mit der Angst zu tun.

Also mein Lieblingsbeatle, Ringo Starr. Eine der Abziehbildserien bestand aus Karikaturen; ich habe die meisten nicht verstanden. Mittlerweile hatten sich auch die Preise für die Abziehbilder verdoppelt: die Packung kostete immer noch einen Schilling, aber es war nur noch ein Abziehbild drin. Was leider trotzdem zu keiner Taschengelderhöhung führte.

Es war an einem Samstag. Ich hatte einen Schilling zusammengespart und mir eine Packung Abziehbild (jawohl: Abziehbild, es war ja nur eins in der Packung) gekauft. Und Sie können sich nun schon denken, von wem da eine Karikatur auf dem Abziehbild war. (Denjenigen, die nun Harald Rofner gesagt haben: Nichtgenügend! Setzen! Denjenigen, die Ringo Starr gesagt haben: Ein Plus für Mitarbeit.) Unter einem gezeichneten Kopf stand "Ringo Starr". Das Problem dabei war, dass ich nicht wusste, wer z.T. Ringo Starr war. Ein Schulkamerad (Emil Pum), der wirklich viele Abziehbilder hatte, die er mir auf dem Heimweg von der Schule jedes einzelne ausführlich erklärte, was mir sehr imponierte, der erklärte mir, was es mit Ringo Starr für eine Bewandtnis habe: Die Zeichnung, die Karikatur (ein Wort, das ich damals noch nicht kannte) stelle niemand anderen als Hans Orsolic dar. Hans Orsolic, den berühmten österreichischen Boxer. Und da Boxkämpfe in einem Ring statt fänden und da Hans Orsolic ein Star war (das Wort "Star" kannte ich schon), könne es sich bei der Zeichnung nur um Hans Orsolic handeln. Als ich dann beim samstäglichen Mittagstisch meiner Mutter das Abziehbild mit dem vermeintlichen Hans Orsolic zeigte, meinte sie, das sei doch ein Bild von Ringo Starr. Sicher, habe ich wohl geantwortet, Ringo Starr sei aber niemand anderer als Hans Orsolic. Und ich habe meiner Mutter erklärt, warum es sich um Hans Orsolic handeln musste. Meine Mutter erklärte, dass Ringo Starr ein Beatle war. (Es war einer der Tage, an denen mein Weltbild ins Wanken geriet. Und ein bisschen wackelt es noch immer. Ich gleiche das mit Bier aus: Die Welt wankt, ich wanke, und so scheint es, als würde ich unbewegt gerade stehen, meint Terry Pratchett.)

Was ist ein Beatle, habe ich einmal meine Großmutter gefragt. Ein Beatle ist jemand, der nichts tut als herumzuschreien und der dafür ganz viel Geld bekommt. Ich habe die Missbilligung in der Stimme meiner Großmutter gehört und gesagt: Ich werde nie ein Beatle werden. Insgeheim habe ich mir gedacht: Ein bisschen herumschreien und dafür viel Geld bekommen, das klingt doch nicht schlecht, vielleicht sollte ich doch ein Beatle werden. Nur wie sage ich es dann meiner Großmutter.

Einschub: Etwas ganz anderes: Jetzt habe ich aus Versehen etwas Bier in die Computertastatur geschüttet. Aber: Nichts ist passiert, nur dass das "Klack!", das es macht, wenn man eine Taste drückt, um eine Spur lauter ausfällt, und der erste Andrückwiderstand eine Spur kräftiger ist.

Wo waren wir stehen geblieben? Ah ja, bei den Beatles und bei meinem Lieblingsbeatle: Ringo Starr.

Für Leute, die damals nicht dabei waren: Ich spreche vom Jahr 1969. Ich war 8 Jahre alt und seeeeeehr naiv. Selbst für mein Alter.

Einmal habe ich meinen Vater gefragt, was ein Student sei. (Der Anlass war eine Nachrichtensendung, in der protestierende Studenten zu sehen waren. Was "protestieren" heißt wusste ich noch nicht, aber dass es etwas sehr Schlimmes war, das konnte ich mir aus den Reaktionen meiner Eltern und der Großmutter zusammenreimen. Und wenn die einmal einer Meinung waren, dann musste es sich um eine unumstößliche Wahrheit handeln.) Auf die Frage, was ein Student sei, antwortete mein Vater, das sei jemand, der fürs Herumschreien viel Geld bekomme. Trotz meiner Naivität ahnte ich, dass ein Student so etwas ähnliches wie ein Beatle sein musste. Auch hier spürte ich die Missbilligung in der Stimme meines Vaters und ich sagte, dass ich nie ein Student werden wollte.

Die Geschichte lehrt uns folgendes: Beatle bin ich nie geworden, wiewohl ich mir eine E-Gitarre und ein Mikrofon gekauft und ein paar Liveauftritte absolviert habe. Was ausgerechnet mich, einen der unmusikalischsten Menschen, die ich kenne, dazu gebracht hat, Gitarre zu spielen und zu singen, und das noch dazu vor zahlendem Publikum, das lässt sich nun wahrscheinlich erklären.

Wie gesagt, Beatle bin ich keiner geworden, aber Student. Und die Zeit als Student war die schönste Zeit in meinem Leben, und sollte ich jemals wieder eine so tolle Zeit erleben wie damals, dann will ich zufrieden sein.

Wie Sie also sehen, hatte ich mit meinem Lieblingsbeatle, Ringo Starr, schon Bekanntschaft gemacht, als ich noch nicht wusste, was ein Beatle war, und dass die Beatles außer herumzuschreien auch noch Musik machten.

Einschub: Die Rolling Stones. Es muss wohl ein paar Jahre später gewesen sein. Damals wusste ich schon, dass es die Rolling Stones gab, und dass das so etwas ähnliches wie "Beatles" war. Ich war noch mit Peter Alexander indoktriniert (auch dieses Wort kannte ich noch nicht). Meine Cousine Claudia und ich spielten gerade ein Spiel, zu dem gehörte, dass wir Radio hörten. Während unseres Spiels hörte ich im Radio ein Lied, in dem "Rolling Stone" vorkam. (Heute kann ich rekonstruieren, dass es sich um "Cover Of The Rolling Stone" von "Dr. Hook & The Medicine Show" gehandelt haben muss). "Jetzt hören Sie sich das an, Gnä Frau!" sagte ich im Spiel zu meiner Cousine, "das sind die Rolling Stones. Ich weiß nicht, warum die so berühmt sind." Aber um ehrlich zu sein: Ich dachte mir insgeheim, dass das eine unglaublich tolle Musik sei. Ich war noch immer indoktriniert, wusste noch immer nicht was das heißt, und mein Weltbild schwankte noch immer.

Zurück zu den Beatles: Ich habe mehrere Cousinen. Eine Cousine zweiten oder dritten Grades ist die Angelika. Ein Kapitel für sich. Die Angelika ist die Tochter von Onkel Ewald. Auch ein Kapitel für sich. Einmal waren wir in Singen (so heißt der Ort: Singen am Hohentwiel, oder so ähnlich) bei den Heims (Onkel Ewald, Tante Lise, die Lentschi, die Angelika und die Oma von der Angelika). Wir, das heißt: meine Eltern, mein Bruder (auch ein Kapitel für sich) und ich (erst recht ein Kapitel für mich). Meine Cousine zweiten oder dritten Grades, ein paar ihrer Freundinnen und ich schauten uns irgend einen Schas im Fernsehen an. Im Film war ein Schwarzer zu sehen. Eine der Freundinnen meiner Cousine (etc.), eine ziemliche – wie sagt man? – Zimtzicke – sagte voller Abscheu: "Iiiih, ein Schwaaaarzer!" Seit damals kann ich Rassisten nicht ausstehen. (Noch so ein Wort, das ich damals nicht kannte. Jedenfalls erklärte ich damals: Sollte ich jemals heiraten, dann nur eine Schwarze!") ("Iiiiih!")).

Einschub: Der Terminus "Schwarze": In den Siebzigerjahren war der Ausdruck "Neger" gebräuchlich, und ich dachte nichts böses dabei und meinte es auch nie abwertend. (Wenn ich zum Beispiel über Fats Domino oder Chuck Berry sprach). Mittlerweile ist bekannt, dass dieser Terminus als Beleidigung empfunden wird. Als Alternative bieten sich an: Afroamerikaner, Schwarzafrikaner, Schwarze, Farbige etc.

Den Terminus "Farbige" lehne ich ab, denn er impliziert, dass die "Farbigen" eine von der Norm abweichende Hautfarbe hätten. Deshalb schlage ich vor: "Schwarze" für Leute dunkler Hautfarbe und "Weiße" für Leute heller Hautfarbe. So wie die Hautfarbe von "Schwarzen" nicht wirklich schwarz ist, ist die Hautfarbe von "Weißen" nicht wirklich weiß. Schwarz und Weiß sind Annäherungen an Hautfarben unterschiedlicher Pigmentierung. Auch die Termini "Afroamerikaner", "Schwarzafrikaner" etc. lehne ich ab. Da müsste man dann auch Termini wie "Weißeuropäer" oder "Euroamerikaner" oder "Asioeuropäer" verwenden. Wie würde man einen aus Südafrika stammenden Weißen nennen, der in die USA ausgewandert ist. Auch Afroamerikaner? Vor allem aber ist immer Vorsicht am Platz, wenn für eine Kategorie von Leuten Euphemismen zur Bezeichnung gesucht werden.

Warum ist es überhaupt wichtig, die Hautfarbe von Leuten zu benennen? werden Sie fragen: Nun, was mich anbelangt: Ich bin leidenschaftlicher Blues, Rhythm & Blues und Rock'n'Roll Fan. Und die Geschichte dieser Musik ist mit der Geschichte des Rassismus in den USA untrennbar verbunden. Und um diese Musik zu verstehen und um über sie sprechen zu können, ist es wichtig die Hautfarbe der MusikerInnen und des Publikums zu benennen.

Wichtig ist der Kontext: Welche Bezeichnung für welche Hautfarbe verwendet wird ist nicht so wichtig wie der Kontext, in den diese Bezeichnungen eingebettet werden: Es gibt alte Bücher, in denen der Terminus "Neger" gebraucht wird, ohne dass damit Rassismus verbunden ist, und es gibt aktuelle Zeitungsberichte und Aussagen von PolitikerInnen, in denen von "Schwarzafrikanern" gesprochen wird, und die trotz des politisch korrekten Terminus primitivsten Rassismus versprühen.

Und noch was: Es gibt ÖsterreicherInnen, die Ohrenschmerzen bekommen, wenn sie "Sahne", "Tomaten" oder "Kartoffel" hören, weil wir sind hier in Österreich, und da heißt es "Rahm", "Paradeiser" und "Erdäpfel". Wenn solche Leute mit Inbrunst auf die "richtigen" Ausdrücke bestehen, dann mahne ich bei ihnen auch korrekte Ausdrücke bei der Bezeichnung von Hautfarben ein, bei der Bezeichnung von Volksgruppen und geschlechtsneutrale Bezeichnungen ebenso.

Ich könnte dieses Thema noch breiter klopfen, aber Sie sehen eh schon, worauf ich hinaus will.

Also: Ein paar Jahre später besuchte uns die Angelika. Sie war damals so an die 15, ich war an die 12. Und das war so etwa im Jahr 1973. Das Lieblingslied der Angelika war "Little Willie" von den Sweet, was dazu führte, dass sie sich das Lied, das sie auf einer Kassette aufgenommen hatte, täglich tausende und abertausende Mal anhörte. Noch heute, so an die 27 Jahre sind inzwischen vergangen, höre ich noch immer: "Little Willie Willie womm, ( break! ) go home." Die Geschichte mit der Angelika und unserem Nachbarn, dem Roth Willi, das ist wieder eine Geschichte für sich. (Der Roth Willi an sich ist selbst ohne Angelika eine Geschichte für sich). Jedenfalls, für mich – immer noch indoktrinierter Peter Alexander Fan – für meine Eltern, und auch für meinen Bruder (obwohl noch zu klein und zu dumm, so dachte ich damals) war der Musikgeschmack von Angelika nicht nachvollziehbar.

Ein paar Tage, nachdem Angelika nach Hause gefahren war, gab es im Fernsehen einen Beatles Film. (Ich dachte damals, es gebe zwei Kategorien von Leuten: Die einen mögen deutschsprachige, die anderen englischsprachige Musik. Und diejenigen, die englischsprachige Musik mochten, die mochten alles englischsprachige. Ich dachte damals, dass das Mögen von englischsprachiger Musik nichts anderes sei, als eine Art Protest. (Das Wort "Protest" kannte ich natürlich auch nicht, leider weiß ich nicht mehr, mit welchen Wprten ich das alles dachte.)

Jedenfalls gab es im Fernsehen "Help!" von den Beatles, zu Deutsch "Hi-Hi-Hilfe!" Und ich sagte zu meinen Eltern, schade dass die Angelika nicht mehr da ist, die würde sich freuen. (Logischerweise ging ich davon aus, dass wer The Sweet (den Namen kannte ich damals genausowenig) mochte, zwangsweise auch die Beatles (Viel Geld für nichts als Schreien bekommen) mögen würde.)

Was mich dann dazu bewog, den Beatles Film anzuschauen, das kann ich heute nicht mehr sagen. Aber wenn ich versuche mich zu erinnern (bitte bedenken Sie: ich trinke hier und jetzt gerade mein viertes Bier, und ich fürchte, ich werde noch Durst auf ein fünftes bekommen), wenn ich also versuche, mich zu erinnern, dann glaube ich, dass meine Mutter (die damals fünf Jahre jünger war, als ich es heute bin, das muss auch einmal bedacht werden), dass meine Mutter gesagt hat, dass die Beatles immer lustige und komische Filme gemacht haben. Jedenfalls klang es nicht nach "Viel Geld für Herumschreien!"

Wie dem auch sei: Ich habe mir den Film "Help!" bzw. "Hi-Hi-Hilfe!" angeschaut, und seither steht kein Stein mehr auf dem anderen. Und das gilt auch für die Rolling Stones.

Einschub: Ein paar Jahre später. Es war zu einer Zeit, da ich schon wusste, wer die Rolling Stones und wer die Beatles waren. Mein Lieblingsmusiker war Alvin Stardust und meine Lieblingsmusik war Rock'n'Roll.

Es ist soweit: Zeit für das fünfte Bier, bitte verzeihen Sie mir, aber die Erinnerungen, die Erinnerungen ...

Also, meine Lieblingsmusik war Rock'n'Roll. Und können Sie sich etwas traurigeres vorstellen?: Im Fernsehen kommt eine Sendung, ein Mitschnitt eines Livekonzerts von – sage und schreibe – Bill Haley, Little Richard, Jerry Lee Lewis, Chuck Berry, Bo Diddley, MC5 und was weiß ich wem noch ... Im Fernsehen kommt also DAS KONZERT schlechthin, und meine Eltern haben das Wohnzimmer, in dem der Fernseher steht, zum Schlafzimmer erkoren. Stellen Sie sich das bitte vor: Sie sind in den besten Teenagerjahren, da kommt im Fernsehen DER ABSOLUTE MUSS FILM, und Ihre Eltern haben den Raum mit Fernseher zum Schlafzimmer erklärt, und die einzige Möglichkeit, den Livemitschnitt des Konzerts von Bill Haley, Little Richard, Jerry Lee Lewis, Chuck Berry, Bo Diddley und was weiß ich wem noch ... zu sehen, das ist ein Stockwerk höher, bei der Großmutter. Bei der Großmutter, die zwar einerseits (sie schläft auch in dem Zimmer, in dem ihr Fernseher steht) ihrem Enkel zuliebe länger aufbleibt, die sich ihrem Enkel zuliebe, ihrem Enkel, der noch vor wenigen Jahren versprochen hatte, kein Beatle zu werden, ein Konzert von Bill Haley, Little Richard, Jerry Lee Lewis, Chuck Berry, Bo Diddley und was weiß ich wem noch ...anschaut. Die aber andererseits keine Sekunde verstreichen lässt, ihre Abscheu vor dieser Unmusik zum Ausdruck zu bringen.

Stellen Sie sich bitte vor: Sie sind ein Chuck Berry Fan. Chuck Berry tanzt den Duckwalk und geigt auf seiner Gitarre eines der berühmten Chuck Berry Solos, und mitten drin fragt Sie Ihre Großmutter (der der Fernseher gehört, auf dem Sie das alles sehen): "Und sowas gefällt Dir?" Ist das nicht traurig.?

Meine Cousine Angelika wurde von ihrem Vater grün und blau gedroschen, und meine einzige Möglichkeit, Bill Haley, Little Richard, Jerry Lee Lewis, Chuck Berry, Bo Diddley und was weiß ich wen noch ...zu sehen, war bei meiner Großmutter, die diese wilde Musik ganz und gar nicht schätzte, ganz leise ... ich vergaß zu erzählen: eine der Bedingungen, dass ich mir das Konzert überhaupt anschauen durfte, war eine seeeeeeehr reduzierte Lautstärke. Ich glaube, dass mir meine Großmutter nur deshalb erlaubte, dieses Konzert anzuschauen, weil sie dachte, sie könne mir – anhand des Anschauungsmaterials – die Begeisterung für diese Art von Musik austreiben. Stellen Sie sich bitte vor: Sie sehen einen Konzertmitschnitt Ihrer Lieblingsband, und neben Ihnen sitzt Ihre Großmutter und gibt alle paar Minuten einen Kommentar ab, der ihrem Missfallen Ausdruck verleiht, und Sie können nichts machen, denn es ist der Fernseher Ihrer Großmutter. Und stellen Sie sich vor: Nach der Sendung wird der zweite Teil des Konzerts angekündigt, und Sie müssen Ihre Großmutter dazu bringen, dass Sie sich den auch anschauen dürfen. Und Ihre Großmutter, die während des ganzen ersten Teils versucht hatte, kulturpädagogisch auf Sie einzuwirken, erlaubt Ihnen, auch den zweiten Teil anzuschauen – absolute Missbilligung vorausgesetzt. Und in der Stimme schwingt die Enttäuschung mit, dass all die kulturpädagogischen Einwirkungen vergebens waren. Nicht aber die Einsicht, dass Sie schön langsam in ein Alter kommen, in dem Sie Ihren Musikgeschmack selbst dings.

Ach seien Sie mir nicht böse: Ich hole mir noch ein Bier. Zuviele Erinnerungen quellen hervor, wie Regenwürmer nach einem Sommergewitter.

Es war in der vierten Klasse Unterstufe, BRG Steyr: Letzte Religionsstunde im Jahr: Unser Lehrer, Klingelmayr, veranstaltete einen Quiz, wobei sich jeweils eine Gruppe von vier Leuten eine Frage ausdenken sollte. Die meisten zogen einen Taschenkalender hervor. Im hinteren Teil waren Tabellen mit Maßen und Gewichten, Verkehrszeichen, Zeichen der chemischen Elemente und andere lebenswichtige Informationen. Aus diesem Infopool wurden dann die meisten Fragen erarbeitet. Ich schlug meiner Gruppe vor zu fragen: "Wer ist George Harrison?" (Gott hab ihn selig!) George Harrison deshalb, weil ich dachte, die anderen drei Beatles seien zu bekannt.

Wir stellten also die Frage: "Wer ist George Harrison?" Und es war der Zeschner (Heinz? Karl? Karlheinz? KHZ?), der antwortete: "Ein Gitarrist bei den Beatles." Ich wusste damals nur, dass George Harrison ein Mitglied der Beatles war. Welches Instrument er spielte, wusste ich nicht.

Mein erster Beatles-Tonträger:

Olaf Krämer, auch ein Kapitel für sich, war einer meiner Mitschüler in Steyr. Er hatte das rote Album der Beatles und erklärte sich bereit, es für mich aufzunehmen. Ich überreichte ihm an einem Samstag eine Kassette und er überspielte mir die Beatles. Als er mir am Montag die bespielte Kassette brachte wollte er für das Überspielen 10 Schilling. Ich weigerte mich zu zahlen, da das nicht ausgemacht war. (Damals betrug mein monatliches Taschengeld 20 Schilling.) Es kam fast zu einem Zerwürfnis. Olaf sagte mir, dass er die Kassette mit einem Mikrofon aufnehmen hat müssen. Deshalb hatte er seine Familie aus dem Wohnzimmer vertreiben müssen, und er hätte einen Haufen Scherereien wegen der Aufnahme gehabt.

Ein paar Tage später hat er aus Versehen bei einem meiner Modellsegelflieger einen Riss in der Bespannung verursacht, und wir vereinbarten, dass er das Flugzeug nicht herrichten müsse, und ich bräuchte nichts für die Beatles Kassette bezahlen.

Die Kassette habe ich heute - tausende Jahre danach - immer noch. Ich sollte sie mir einmal anhorchen und schauen, ob da noch was zu hören ist.

Viel später, als ich schon ins BORG Perg ging und manchmal ziemlich unglücklich war, fuhr ich übers Wochenende oft zum Olaf nach Steinbach an der Steyr. Das war mein Refugium. Bei Olaf und seinen Freunden wurde nie über Fußball oder Schifahren diskutiert, sondern über Musik. Er spielte in einer Band, seine Schwestern und fast alle seiner FreundInnen spielten ein Instrument oder sangen mit Begeisterung.

Die Eltern von Olaf waren ausgesprochen gastfreundlich. Und ganz egal, wie viele Leute Olaf mitbrachte, immer wurden wir üppig bewirtet.

Einmal war im Garten eine Party. Die Band von Olaf – "Calypso" – spielte, und seine Eltern grillten Berge von Koteletts.

Zu später Stunde rief die Polizei an, weil jemand wegen Lärmbelästigung Anzeige erstattet hatte. Olafs Vater sagte: "Die erste Strafe übernehme ich. Die zweite müsst ihr selbst zahlen." Irgendwie musste dann niemand Strafe zahlen, das Ganze löste sich friedlich auf.

Bei den Frühstücks war es immer das selbe: Die Mutter tischte Tee, Kaffee, Toast, Butter, Schinken, Eier und was weis ich noch alles auf. Mir aber war vom vielen Alkohol so schlecht, dass ich nur eine Tasse Kamillentee hinunter brachte.

Einmal musste ich mitten in der Nacht aufs Klo und fand nirgends Klopapier. Ich weiß nicht wen ich damals aufgeweckt hatte, aber er oder sie sagte mir, dass das Klopapier im Aquarium liege. (Wohlgemerkt: Es war ein leeres Aquarium. Dieses Aquarium war nie befüllt worden und diente als Vorratskasterl für das Klopapier.)

Oft gab es Partys in Waldneukirchen. Olaf spielte mit seiner Band Calypso, und es gab jede Menge zu Essen und zu Trinken. Ich habe mich nie gefragt, wer das alles bezahlt hat.

Ich erfand damals den Spruch: "Unser Olaf: Ein Erfolg der Schulmilch!" Kurt Heiligenmann kann sich heute noch daran erinnern.

Und da war auch noch der Reitmeier Walter. Er war der Kollege von Olaf, als dieser beim Musikhaus Eisserer eine Verkäuferlehre absolvierte. Der Reitmeier Walter war vor allem 2 CV-Fan: Als ich ihn kennen lernte, war er zwar Citroen Diane-Fahrer, und auf unserer Frankreichfahrt hatte er einen Citroen DS – Sie müssen wissen: Im Jahr 1980 war ich mit einer Partie Leute in Frankreich – , aber im Grunde seines Herzens und seines Wesens war Walter 2 CVer: Als er später heiratete und eine Familie gründete, wurde das gesamte Leben auf 2 CV umgestellt: Hochzeitsreise in einem 2 CV, Urlaube: 2 CV Treffen, Geschenke an seine Frau: 2 CV Ohrringe und 2 CV Halsketten, das Kind hatte ein 2 CV Tretauto, die Stereoanlage: ein aus einem 2 CV ausgebautes Autoradio. Das Prunkstück schlechthin: Eine auflagenstarke Autozeitschrift, und auf dem Titelbild Walter Reitmeier im 2 CV bei einer Ralley, wobei er bei er in einer scharfen Kurve gerade ein Rad verliert.

Einmal machten wir einen Ausflug. Wir, das waren Olaf, Kurt, Walter, noch ein paar Leute und ich. Wir kamen zu einem Parkplatz in einer wunderschönen Gegend: Da war eine Schlucht, unten rauschte die Steyr, die Enns oder sonst ein Gewässer, es regnete leicht und Nebel streifte durch die dichten Nadelwälder. Und Kurt und Walter hatten nichts besseres zu tun, als die Motorhauben ihrer 2 CVs zu öffnen, die Motoren laufen zu lassen und über Autos fachzusimpeln. Doch das ist lange her und längst vergessen und vergeben.

Nachtrag, Februar 2004: Gepriesen sei der Zweitausendeins Versand! Über diesen habe ich ebenjenes Rock'n'Roll Konzert, das ich seinerzeits bei meiner Großmutter anschauen durfte, als DVD zu einem sehr günstigen Preis bezogen. Lang lebe Zweitausendeins!

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DIE BUTTERSEMMELN

"Die vielen Buttersemmeln, die vielen Buttersemmeln!", klagte Pfadfinderhäuptling Mayrhofer. "Die vielen guten Buttersemmeln!" Er war dem Weinen nahe. Pfadfinderhäuptling Mayrhofer stand umringt von einer Gruppe von Pfadfindern am Ufer und blickte traurig dem Floß nach, das immer weiter auf den See hinaus trieb. Auf dem Floß befand sich ein sehr großer geflochtener Korb.

"Die vielen guten Buttersemmeln!" sagte Pfadfinderhäuptling Mayrhofer noch einmal, aber da war nichts mehr zu machen.

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DIE CRUX DER GRAPHME

Zuerst macht es: "FLAPP!", dann "bolopbolopbolopbolop", dann breitet sich im Raum der Geruch nach Bier aus. Während der Vater trinkt macht er keine Geräusche, außer dem obligatorischen "Aaah!" nach einem langen genussvollen Zug. Etwas später wird er dann mehrmals "Mpff!" machen, wofür er strafende Blick von der Mutter erntet.

Natürlich hinken die Ausdrücke "FLAPP!", "bolopbolopbolopbolop" und "Mpff!", aber die Crux der Grapheme besteht darin, dass sie zur schriftlichen Wiedergabe von Sprache, nicht aber zur Wiedergabe von Geräuschen entwickelt worden sind. (Die Sprache ihrerseits ist nicht zur Wiedergabe von Geräuschen entwickelt worden, von einigen onomatopoetischen Schöpfungen einmal abgesehen, die aber wiederum nur an Geräusche erinnern, diese aber nicht hervorbringen. Der menschliche Sprechapparat ist nicht zum Hervorbringen von Geräuschen geeignet. Das heißt, er ist sogar ausgesprochen gut geeignet, Geräusche hervorzubringen, und Sprechen deckt nur eine kleine Bandbreite der Möglichkeiten des menschlichen Sprechapparats ab. Man sollte den Sprechapparat demnach nicht als Sprechapparat bezeichnen, sondern als Stimmapparat oder – um Verwechslungen mit einem Stimmgerät auszuschließen – Geräuschapparat. Wir denken noch einmal an das schon erwähnte "Mpff!", ein Geräusch, das eben vom menschlichen Stimmapparat hervorgebracht wird, auch wenn es von es von Graphemen nur in Annäherung wiedergegeben ist. Man könnte eine Regieanweisung hinzufügen: z.B. (gutural): "Mpff!")

Selbst für die Sprache stellen die Grapheme nur eine Notlösung dar, bei vielen Geräuschen versagen sie vollends. Wenn in einer Donald Duck-Geschichte das Geräusch von blockierenden Reifen eines abrupt bremsenden Autos mit "Brems Quiiiietsch!!!" wiedergegeben wird, so weiß jedes Kind, dass es nicht "Brems Quiiiietsch!!!" macht, wenn ein Auto bremst, und dennoch weiß jedes Kind, welches Geräusch gemeint ist. Will heißen, wir haben für Geräusche mehr oder minder zutreffende Morpheme, nicht aber die dazugehörenden Grapheme.

Deshalb hat sich die Sprache gleich Ausdrücke für Geräusche ausgedacht, die zwar Geräusche bezeichnen, nicht aber wiedergeben.

In der Volksschule bekamen wir im Religionsunterreicht einmal die Aufgabe, eine Szene aus der Heiligen Schrift zu zeichnen. Ich wählte die Steinigung des Heiligen Stefans. Dabei versuchte ich eine tiefe Grube zu zeichnen, in die der Heilige Stefan geworfen wurde. Man sollte sehen, wie der Heilige Stefan in die Grube fällt. Die Grube und den fallenden Heiligen Stefan bekam ich so halbwegs hin. Nun wollte ich aber zur Steigerung der Dramatik auch das Schreien des Heiligen Stefans auf das Bild bringen. Und hier begannen die Schwierigkeiten: Ich stellte mir ein brüllendes Schreien auf der Basis des Vokals A vor. Um das graphemisch umzusetzen, überlegte ich mehrere Varianten: Zunächst einmal "Aaaaaaar!". Damit war ich nicht zufrieden. Die zweite Variante war "Raaaaaa!". Auch das war nicht zufriedenstellend. Vor allem beim Leiselesen. Als drittes versuchte ich "Rararararararara!" Dies war überhaupt die ungeeignetste Variante. Ich blieb also bei Variante eins, zeichnete noch ein paar Leute, die dem fallenden Heiligen Stefan einige Felsbrocken nachwarfen und bekam auf die Zeichnung eine schlechte Note.

Vergleiche: "Har! Har! (Harhar!)"

(Vielleicht hätte ich doch besser den von Pfeilen durchbohrten Heiligen Sebastian zeichnen sollen oder die jungfräuliche Empfängnis Marias oder die Arche Noah auf hoher See.)

Meine Lieblingsgeschichte der Bibel war die vom Jakob, der in einen Brunnen geworfen worden war, und der dann trotzdem seine Sippe gerettet hat. Hätte ich die Szene gezeichnet, wie Jakob gerade in den Brunnen fällt, wäre ich vor den selben Problemen gestanden wie bei der Darstellung der Steinigung des Heilige Stefans.

Vielleicht hätte ich den Jakob zum Zeitpunkt des Aufschlagens auf der Wasseroberfläche zeichnen sollen, dann hätte ein "Plumps!" bzw. ein "Platsch!" das Geräusch nicht in seiner wahren Geräuschhaftigkeit, wohl aber in der der deutschen Sprache zu Grunde liegenden Konvention über die Wiedergabe von bestimmten Geräuschen zum Ausdruck gebracht.

Was im Deutschen mit "Platsch!" wiedergegeben wird, lautet im Englischen "Splash!", und in anderen Sprachen wird es wohl auch Morpheme für das Geräusch eines ins Wasser fallenden Etwas geben.

Wir dürfen nicht verwechseln: Die Bezeichnung eines Geräusches, z.B. "ein lauter Knall" und die schriftlichsprachliche Wiedergabe des Geräusches eines Geräusches, z.B. "PENG!".

Ein Kapitel für sich sind Tierstimmen und ihre sprachliche Wiedergabe. Für handelsübliche Haustiere gibt es Entsprechungen in der gesamten grammatischen Bandbreite. Z.B. "Das Muhen" – "muhen" – "Muh!" wird von jeder Deutsch sprechenden Person einer Kuh zugeordnet, auch wenn vom Tier noch gar nicht die Rede ist. Obwohl die Sauggeräusche eines Staubsaugers genauso gut mit "Muh!" wiedergegeben werden könnten. Zumindest mit: "Muuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu-uuuuuuuuuh!"

Bei weniger domestizierten Tierarten begnügt man sich mit grob beschreibenden Ausdrücken. Ein Löwe brüllt. Auch wenn ein Löwe Ruargh! macht, so nennt man das trotzdem "Brüllen" und nicht "Ruargen".

Frösche gehören wohl zu den sympathischsten Tierarten in unserer Gegend. Da ist es nur recht und billig, dass man ihren Gesängen einen sprachlichen Ausdruck widmet: Quaken. Obwohl Enten – ebenfalls eine ausgesprochen sympathische Tierart – ganz anders klingen als Frösche, wird ihr Geschnatter auch als Quaken bezeichnet.

Nur Sperlinge – das sind die allersympathischsten Tiere – quaken nicht. Ich mache jetzt einen Test, ein Experiment: Dieses Schreibprogramm kennzeichnet falsch geschriebene Wörter sowie Wörter, die es nicht kennt, mit roten Wellenlinien. Ich schreibe nun den Ausdruck nieder, mit dem ich die Gesänge der Sperlinge bezeichnen würde, und dann werde ich sehen, wie weit dies ein anerkannter Ausdruck der deutschen Sprache ist.

Are you ready?

o.k.: Tschilpen!

Keine rote Wellenlinie: tschilpen ist ein korrekter deutscher Ausdruck. Da schau ich gleich im Duden nach, was da unter "tschilpen" steht. DUDEN. Die deutsche Rechtschreibung. Das Standardwerk zu allen Fragen der Rechtschreibung. 21., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Lizenzausgabe für Weltbild Verlag GmbH, Augsburg: Augsburg 1999. S. 755: "tschilpen (zwitschern [vom Sperling])".

Ich hatte nicht wirklich eine unbeschwerte Kindheit, aber das Tschilpen der Spatzen im Garten bedeutete doch eine gewisse Mindestgeborgenheit. Zum Tschilpen der Spatzen gesellten sich eine Zeit lang die Gespräche der Nachbarinnen (Frau Hauser, Frau Rott, Frau Blaha). Da sich diese Nachbarinnen nicht nur über den Zaun sondern auch über die Straße unterhalten haben (beachte die Zweideutigkeit!), mussten sie ziemlich laut sprechen. Als drittes Geräusch kam noch das Gießen dazu: Stellen Sie es sich so vor: Frau Rott steht im Garten und gießt ihre Bohnenstauden mit dem Gartenschlauch, da sieht sie im Garten auf der anderen Straßenseite die Frau Hauser und ruft ihr einen frohen Morgengruß zu. Es entsteht ein Gespräch über dieses und jenes, und überall tschilpen die Spatzen und benezizen die Meisen und tschaktschaken die Amseln, wenn eine Katze durch den Garten läuft. Und wenn es gut geht, dann habe ich – ein Kind von sagen wir einmal sieben Jahren – Ferien, und zu Mittag gibt es Zwetschkenknödel. Das waren die Augenblicke, wo meine Kindheit dann doch noch unbeschwert war.

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DIE KLEINE MOTTE

Um der Mottenplage in meiner Küche Herr zu werden, habe ich eine Mottenfalle aufgestellt. Von einer Pheromonkapsel werden Motteriche mit Sexuallockstoff angelockt, sie fliegen in die Falle und bleiben dort kleben und verhungern oder sterben sonst einen Tod, der nicht wirklich für Motten vorgesehen ist.

Machmal sehe ich einen Motterich, schon ganz nah bei der Falle. Dann sage ich: "Komm her, du kleine Motte, bevor dir das selbe passiert wie mir." Und ich zerdrücke die Motte mit einem Papiertaschentuch, das ich anschließend zum Biomüll werfe.

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DIE PERLE TIROLS

Berufsschule für Gastgewerbe in Absam bei Hall in Tirol, anno 1981

Um sechs Uhr morgens beginnt es in allen Gängen des zur Berufsschule gehörigen Internats zu klingeln. Spätestens zwei Minuten später steht der diensthabende Erzieher im Zimmer, und wehe, da liegt noch einer in seinem Bett!

Eine Stunde Telefondienst am Wochenende ist die geringste Strafe, die er dafür ausfasst.

Die nächste Dreiviertelstunde gehört der Zimmer- und Körperpflege, vor allem aber der Zimmerpflege, da wird das Waschbecken auf Hochglanz gebracht, die Lampe feucht abgewischt, der Boden ausgekehrt... "ordentlicher Bettenbau" versteht sich von selbst, ebenso wie die Kastenordnung, also die Hemden schön in einer Flucht. Nachher kommt der Erzieher kontrollieren, schaut, ob sich hier und dort noch ein Staubflankerl verirrt hat, sieh mal an, da sind noch ein paar Falten im Bett, es wird wohl wieder Zeit, am Wochenende "Bettenbau" zu üben, gleich das ganze Zimmer, das fördert die Kameradschaft. Und nun Aufstellung, schön ordentlich in Zweierreihen, die Schultasche wird kontrolliert, denn nun wird der Wohntrakt abgesperrt, bis 17 Uhr kommt keiner mehr auf sein Zimmer, vergessen wird nichts.

Im Treppenhaus trifft der Zweierreihenzug auf die Züge der anderen Stockwerke, und nun geht es in die Klassenzimmer. Vor dem Frühstück steht noch eine Studierstunde auf dem Programm. Es wird gelernt, nicht gelesen oder gar zum Fenster hinaus geschaut.

Der Klingelton lädt zum Frühstück, wieder schön ordentlich in Zweierreihen geht es zum Speisesaal. Und jeweils in Sechsergruppen anstellen, an einem Tisch haben sechs Personen Platz, sechs Gedecke sind schon von den Kellnerlehrlingen vorbereitet, im Körberl befinden sich elf Semmeln, der langsamste bekommt nur eine, das fördert die Kameradschaft.

Der Geräuschpegel erreicht die hörbare Grenze, aber der Erzieher braucht nur bedeutungsvoll den Kopf zu heben, schon wird es still.

Zwischen Frühstück und der ersten Unterrichtsstunde sind fünfzehn Minuten Zeit, es geht sich eine Zigarette aus, vor der Haustür ist ein großer Aschenbecher aus Eternit, aber wehe eine Zigarettenkippe verirrt sich auf den Waschbeton.

Deutschstunde. Heute lernen wir, einen korrekten Geschäftsbrief zu schreiben, der Übung halber an die Eltern. Der Lehrer diktiert: "...Erfahrungsgemäß sind Lehrlinge des Gastgewerbes an einen geregelten Tagesablauf nicht gewohnt, und daher kommt es hin und wieder zu Klagen, das Internatsleben sei zu streng. Die Eltern werden ersucht, eventuelle Klagen sofort dem Direktor mitzuteilen, er wird sich bemühen, den Klagen nachzugehen..."

Später werden die Briefe an die Eltern geschickt.

Angeblich hat einmal tatsächlich ein Lehrling gewagt zu klagen, der Direktor ist wirklich dieser Klage nachgegangen, der Lehrling hatte keine Freude daran.

Geographiestunde: Ein Freiwilliger soll an der Karte die Grenze Tirols nachfahren. Falsch, setzen, er hat Osttirol vergessen.

Wer schnell ist, der schafft in der Vormittagspause zwei Zigaretten. Vor dem Mittagessen geht sich noch einmal eine aus.

Das Mittagessen: Von den Kochlehrlingen gekocht, von den Kellnerlehrlingen serviert, rotierend versteht sich, sonst bliebe niemand zum Essen übrig. Bier gibt es zum Supermarktpreis, wer schnell ist, schafft zwei, das macht mitunter den Nachmittag erträglicher.

"Tischgespräch ist erwünscht, aber nicht zu laut!" Die Lautstärke wird mit dem bereits bewährten Kopfheben der Erzieher gesteuert.

Zwei Stunden Pause. Da die Zimmer nicht zugänglich sind, können sich die Lehrlinge entweder stillschweigend in den Klassenzimmern aufhalten, oder ruhig in der Halle oder bei Schönwetter auf der Wiese. Dort darf man normal sprechen.

Im Keller stehen für die ungefähr 300 Lehrlinge sage und schreibe zehn Tischtennistische zur Verfügung.

Die Lehrlinge dürfen auf der Waschbetonfläche vor der Eingangstür rauchen, oder aber sich für eine Stunde im Klo einsperren, um wenigstens diese eine Stunde lang einmal allein sein zu können.

Ausgang gibt es während er Woche nicht.

Praxisunterricht: Die Lehrlinge stellen sich der Größe nach in einer Reihe auf, die Zehenspitzen sind in der Flucht. Der Lehrer kontrolliert die Fingernägel, die Frisur und die Rasur:

Einer wird mit einem Eintagesbart erwischt, er hat sich zu entfernen. Wohin?

"Mit Unrasierten rede ich nicht." Das gibt "unerlaubtes Fernbleiben vom Unterricht".

Der Bleistifttest: Hält der Lehrer einem Lehrling den Bleistift über das Ohr und es stehen dann noch Haare drüber, dann wird er zum Friseur geschickt, dort verlangt er einen "Gastgewerbeschnitt", und genießt die Stunde unerlaubten Fernbleibens vom Unterricht.

Hygiene geht schließlich über alles.

Jedesmal wird ein Anderer verantwortlich für die Arbeit von sechs Personen gemacht, diesmal ist der Lehrling M. dran. Seine Aufgabe besteht darin Suppeneinlagen zu kochen: Frittaten, Nudeln und Kaiserschöberl. Nun sind aber keine Eier im Lager. Der Lehrling M. fragt den Lehrer, ob er vielleicht andere Suppeneinlagen zubereiten soll, da keine Eier da sind.

"Ihre Aufgabe besteht darin, Frittaten, Nudeln und Kaiserschöberl zu machen."

Zuguterletzt gibt es ein Nichtgenügend, da der Lehrling M. keine Suppeneinlagen zustande gebracht hat.

Nach dem Unterricht wird geputzt. Die Kochtöpfe werden in kaltem Wasser mit immer den selben Fetzen ausgewaschen, die dann in kaltem Wasser gereinigt werden, während der zwei Monate werden diese Fetzen weder ausgetauscht, noch heiß gewaschen.

Hygiene geht über alles.

Der Lehrling M. hat Glück: Er wird zum Tiefkühlraumputzen eingeteilt. Dieser ist durch zwei dicke Türen vom Gang getrennt, so kann der Lehrling bei minus 30 Grad ungehemmt singen, ohne dass ihn jemand hört. Singen ist sonst strengstens verboten, M. braucht das aber unbedingt für sein seelisches Gleichgewicht.

Religionsunterricht: Ein netter alter Herr erzählt aus seinem Leben. Er wird der einzige sein, der einem vierzehnjährigen Lehrling, der noch wie ein Kind aussieht, und der immer weint, das einzige "sehr gut" gibt. Alle anderen Noten werden ausnahmslos "nicht genügend" sein.

Zum Abendessen gibt es dasselbe, wie zu Mittag, es steht auf dem Lehrplan der Kochgrupe. Die Küche verdient größtes Lob, nicht nur auf gutes Essen wird Wert gelegt, auch auf appetitliche Gestaltung.

Nach dem Abendessen bleibt eine halbe Stunde frei, dann kommt die Abendstudierzeit. Wieder hat der Lehrling M. Glück: Obwohl er erst im ersten Lehrjahr ist, darf er in seinem Zimmer lernen, wie sonst nur die "Drittjährigen", während die Übrigen im "Aufenthalts"raum lernen müssen, wo sie ständig vom Erzieher bewacht sind. Nur hin und wieder geht er nachschauen, ob die in ihren Zimmern auch wirklich lernen. Der Lehrling M. wird erwischt, wie er einen Brief an seine Freundin schreibt. Der Brief wird vom Erzieher konfisziert, das gibt zwei Stunden Telefondienst am Wochenende.

Von seinem Fenster aus sieht der Lehrling M. auf Innsbruck. (Aus dem Fenster schauen ist zwar verboten, aber M. tut, als würde er angestrengt die Pässe Tirols auswendig lernen.) Auf einem Hochhaus in Innsbruck beginnen zwei helle Lichter zu blinken. M. weiß, dass jetzt bald die Abendmaschine der Tyrolien Air landen wird, dann sind es nur noch zehn Minuten Studierzeit.

Weil die Lehrlinge brav gelernt haben, dürfen sie vor der Abendruhe noch eine Zigarette rauchen, schnelle schaffen zwei, die Zigarette muss aber immer über dem Tisch bleiben, also muss man den Kopf zur Zigarette beugen, Hauptsache rauchen.

Das Tagesgespräch: Drei Lehrlinge vom zweiten Stock sind aus dem Internat gewiesen worden, weil man in ihrem Zimmer Schokolade gefunden hat. Lebensmittel sind in den Zimmern nämlich strengstens verboten, die Folge ist sofortiger Rauswurf, was zur wiederum Folge hat, dass der Lehrbetrieb die Kosten für die Berufsschule nicht mehr übernimmt, und die Lehrlinge müssen sie aus ihrer eigenen Tasche bezahlen.

Ob die Abendtoilette auch ordentlich gemacht wurde, wird vom Erzieher überprüft. Manchmal indem er mitten in der Nacht kommt, die Bettdecke wegzieht, um nachzuschauen, ob die Füße gewaschen sind.

21 Uhr 15: Nachtruhe. Um 21 Uhr 20 spricht der Lehrling M. noch ganz leise mit einem der beiden Zimmerkollegen, der Erzieher hat an der Tür gelauscht:

"Wer hat hier gesprochen?" Die Strafe ist streng aber gerecht: Am nächsten Tag in der Mittagspause alle 50 Tische und alle 300 Sessel abwischen, zuerst feucht, dann trocken.

Später in der Nacht, als man den Erzieher schon schlafend vermutet, gibt es noch ein waghalsiges Spiel: M. und seine Kollegen binden an ein Stück Zwirn eine Tafel Schokolade und lassen sie beim Fenster hinunter. Im Zimmer unter ihnen nehmen die Mädchen die Schokolade vom Faden und binden ein Sackerl Zuckerl dran.

Gottseidank hat in dieser Nacht der Direktor nicht mit dem Fernglas geschaut, ob etwa in einem der Zimmer Licht brennt. Die Untat bleibt unbemerkt.

"Erfahrungsgemäß sind Lehrlinge des Gastgewerbes an einen geregelten Tagesablauf nicht gewohnt, und daher kommt es hin und wieder zu Klagen, das Internatsleben sei zu streng."

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FÜNFZEHN EHRLOSE MÄNNER UND EINE FRAU

Fünfzehn ehrlose Männer und eine Frau sitzen in einem Boot und diskutieren.

Das Boot treibt den Donaukanal hinab.

Bei der Nußdorfer Schleuse geht die Frau über Bord.

Und nachher will's wieder keiner gewesen sein.

Wir fragen uns: I S T D A S N Ö T I G ?

Und wir fragen uns weiter: Wie kommt ein Boot, das den Donaukanal hinab treibt, zur Nußdorfer Schleuse?

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GAMBLE UND MOTTAS

Guten Tag. Mein Name ist Gamble. Jawohl, ich bin der berühmte Inspector Gamble von der Micropol. Zur Zeit bin ich allerdings außer Dienst gestellt. Wegen meiner unorthodoxen Methoden zur Verbrechensbekämpfung. Aber lassen wir das. Denn dies hier ist kein Bericht über mein Leben, sondern einer über die Aktivitäten des Norbert Mottas in Wien.

Als ich gemeiner Weise – nur weil ich einen Gauner nicht ordnungsgemäß der offiziellen Polizei übergeben habe, sondern nur sein Haus über Nacht knallrot angemalt und mit großen schwarzen Lettern drauf geschrieben hatte: "Hier wohnt der Erzschurke Soundso, der schon seit Jahren in Wien sein Unwesen treibt!" – vom Dienst suspendiert worden bin, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den Mottas zu überwachen. Das war nur so als Training gedacht, damit ich nicht aus der Übung komme. Denn früher oder später – so war ich damals überzeugt – würde man mich wieder mit Ehren in die Dienste der Micropol stellen.

Nun, mittlerweile sind dreieinhalb Jahre vergangen, und weder Headley, der Chef der Micropol, noch Stern, sein Adjutant haben auch nur die geringste Andeutung gemacht, mich wieder aufzunehmen. Sie müssen sich das einmal vorstellen. Das passiert mir, dem eigentlichen Gründer der Micropol. Dabei hatte ich damals keine andere Wahl. Hätte ich vielleicht zur offiziellen Polizei gehen sollen und sagen: "Guten Tag. Ich bin Inspector Gamble von der Micropol, und das ist der Erzschurke Soundso, der diese und jene Verbrechen begangen hat." Ja, was glauben Sie, was die geantwortet hätten! Nicht ein Wort hätten die mir geglaubt. Micropol, so ein Blödsinn, hätten sie gesagt, die gibt´s doch garnicht! Und genau das ist der springende Punkt: Offiziell gibt es die Micropol ja wirklich nicht. So aber, dank meiner Idee, Soundsos Haus zu bemalen, sitzt der Ganove nun hinter Gittern. Aber wie gesagt, hier geht es nicht um mich, sondern um den Mottas.

Meine erste Begegnung mit dem Mottas fand an der Tankstelle statt, an der er arbeitete. (Angeblich soll er der freundlichste Tankwart Wiens gewesen sein. Von Autos verstand er jedenfalls nicht viel.) Ich hatte damals Probleme mit dem Dienstwagen und angenommen, Mottas – als Tankwart – müsse sich doch damit auskennen. Nachdem ich ihm geschildert hatte, welch eigenartige Geräusche der Motor bei Tempo 200 macht, sagte er, das werden wir gleich haben. Er zog sich Gummihandschuhe an und folgte mir zum Wagen. Die bloße Tatsache, dass er sich Gummihandschuhe anzog, hätte mich stutzig machen sollen. Denn was ein echter Tankwart ist, der scheut sich nicht, sich die Hände am Auto seiner Kunden schmutzig zu machen, außerdem hat er nach Benzin und nicht nach Rasierwasser zu riechen.

Mottas öffnete die Kühlerhaube, blickte den Motor prüfend an und ersuchte mich, zu starten. Dann rief er: "Geben Sie bitte Vollgas und stellen Sie dann den Motor ab, wobei Sie gleichzeitig hupen und das Fernlicht ein und aus schalten." Obwohl mir das sehr merkwürdig vorkam, tat ich wie geheißen. Mottas werkte am Motor rum, und brummelte dabei immer etwas in der Art von "Mhm. Mhm, ah ja, dachte ich es mir, hier ist er ..." Dann ließ er mich die Prozedur wiederholen, nur dass ich diesmal nicht zu hupen brauchte, sondern die Scheibenwischanlage betätigen musste.

Mottas warf einen letzten scharfen Blick auf den Motor, nickte wissend, warf die Kühlerhaube zu, zog theatralisch – wie ein Chirurg nach der Operation – die Gummihandschuhe aus, und sagte in väterlichem Ton: "Die Sache ist die: Ich weiß natürlich, was Ihrem Motor fehlt, und ich könnte das auch behelfsmäßig reparieren, aber leider habe ich dazu nicht das nötige Werkzeug. Darum kann ich Ihnen nur empfehlen, bald eine Werkstatt aufzusuchen und bis dahin nie schneller als 199 km/h zu fahren. Aber machen Sie sich keine Sorgen, so etwas kommt bei Autos dieser Marke öfters vor."

Nun, seit ich vom Dienst suspendiert worden bin, ist mir auch mein Dienstwagen weggenommen worden, und daher kann ich über den weiteren Verlauf der Motorprobleme nichts berichten. Als ich dem Mottas damals Trinkgeld gab, hatte ich allerdings das Gefühl, dass er für den Bruchteil einer Zehntelsekunde verschmitzt lächelte. Jedenfalls nahm ich mir vor, den Burschen im Auge zu behalten, vorerst ohne zu ahnen, dass das eines Tages mein gefährlichster Fall werden würde. Mein gefährlichster, aber auch mein unglaublichster Fall. Denn Mottas war – und das muss auch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden – nicht nur Tankwart. Sein wahres und erschreckendes Wesen trat für mich erst zutage, als es fast zu spät war.

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DER KOPFBAHNHOF

Es gibt Probleme, die einer lebhaften Diskussion würdig sind. Ein solches Problem stellt die - geh bitte, konnst vielleicht a bissal leisa sein? Danke!! - Ein solches Problem stellt die Einordnung des Salzburger Bahnhofs dar. Wie folgendes Diskussionsprotokoll demonstriert. Dummerweise habe ich bei der Protokollierung des Gesprächs weder Ort noch Zeit notiert und weiß jetzt beim besten Willen nicht mehr, wo und wann ich das Gespräch belauscht habe und wer die beiden Diskutanden waren. Und meine Feldaufzeichnungen sind derart kryptographisch ausgefallen, dass ich mich auch für die Authentizität der Wiedergabe nicht verbürgen kann.

Das Gespräch wurde in Mostviertler Dialekt geführt und wird hier in der standardsprachlichen Entsprechung wiedergegeben.

A: Dann kann ich nicht mehr sagen, dass St. Valentin ein Bahnknotenpunkt ist.

B: Salzburg ist auch [sic] ein Kopfbahnhof und ein Bahnknotenpunkt.

A: Blödsinn! Salzburg ist kein Kopfbahnhof.

(Es folgt eine lange und heftige Diskussion, ob Salzburg nun ein Kopfbahnhof ist oder nicht.)

Ich wurde durch eine Erinnerung abgelenkt:

Ich war einmal mit ein paar Freunden in Salzburg unterwegs. – Denn Salzburg ist ja in erster Linie eine Stadt und nicht ein Bahnhof. – Wir veranstalteten ein SalzburgerInnen-ärger-Spiel: Immer, wenn eine Fußgängerampel auf Rot war und sich eine größere Menge an SalzburgerInnen angesammelt hatte, sagte ich laut zu meinen Freunden: "Eine schöne Stadt, aber dreckig!" So etwas schmerzt echte Salzburger; manche versuchten sogar die Stadt zu verteidigen. Es seien die vielen Touristen – sagten sie zum Beispiel –, die machen so viel Dreck. Darauf antwortete ich meist gönnerhaft: "Naja, so dreckig ist die Stadt eigentlich gar nicht. Sie sollten einmal Wien sehen. Alle Gehsteige voller Hundescheiße!" Das versöhnte dann die Salzburger: Lieber eine dreckige Stadt mit vielen Touristen, als alle Gehsteige voller Hundescheiße!

In diese Gedankenwelt drängte sich nun ein Satz der Leute, die noch immer über Bahnhöfe diskutierten:

A: Ist Salzburg überhaupt ein Bahnkontenpunkt?

Dieser Satz erhielt seine Nachdrücklichkeit dadurch, dass nun ein langes Schweigen folgte. Und wenn ich versuche, mich an dieses Schweigen zu erinnern, dann sehe ich zwei Personen, die aus dem Fenster eines Schnellzuges starren. Zumindest so tun, als würden sie starren. In Wirklichkeit sind sie in eine innere Gedankenwelt zurückgefallen und denken über die Unmöglichkeit nach, mit der anderen Person vernünftig zu reden. Vielleicht denken sie nicht einmal nach. Aber es gärt im Inneren. Und nun weiß ich zumindest, dass das Gespräch in einem Schnellzug stattgefunden haben muss. Das heißt: Schnellzüge hat es damals keine mehr gegeben.

Früher gab es Personenzüge, Eilzüge und Schnellzüge. Und die Fahrkarten waren aus Karton. Wenn man eine Fahrkarte kaufte, wurde das Datum eingeprägt. Zum Entwerten zwickte der Schaffner ein Loch in die Fahrkarte. Der Herr Tertsch, unser Nachbar, war damals Schaffner, und er sammelte für mich gebrauchte Fahrkarten. Personenzüge, Eilzüge und Schnellzüge gab es früher, jetzt gibt es Regionalzüge, Intercitys, Eurocitys und was weiß ich noch was. Und man kann den Zügen zu Werbezwecken Namen wie "Sportwelt Amadée" verpassen. Meine Lieblingsfahrkarten waren die Regiekarten, also verbilligte Fahrkarten für Bundesbahnbedienstete und deren Angehörige. Das waren die buntesten Fahrkarten.

Noch eine Vergünstigung gab es für Bundesbahnbedienstete und deren Angehörige: Den Eisenbahnersprudel. Wenn ich mich richtig erinnere, dann hieß er anfangs wirklich schlicht und einfach Eisenbahnersprudel und wurde erst später in "Transit" umbenannt. Ob es auch ein eigenes Bier für Bundesbahnbedienstete und deren Angehörige gab, das weiß ich nicht mehr.

Erinnerungen prasseln nun auf mich ein, wie schwerer Hagel. Ich werde alt: Mein Kurzzeitgedächtnis lässt nach, aber Kindheitserinnerungen steigen immer häufiger in mir auf. Ach ja, die Personenzüge! Die Schulzeit!

Vier Jahre lang bin ich täglich mit einem Personenzug von St. Valentin nach Steyr in die Schule gefahren. (Und fünf Jahre nach Perg, doch davon später.)

Im ersten Jahr - es war wohl das Schuljahr 1970/71 - war ich Nachmittagsschüler. Das Gymnasium, das ich besuchte, war dermaßen überbelegt, dass die Klassenzimmer (und das Personal) vormittags und nachmittags genützt werden mussten. Ich ging in die 1G, die sich das Klassenzimmer mit der 4E teilte. Ich sehe uns noch vor der Tür darauf warten, dass der Unterricht für die 4E zu Ende ging. Dann strömten die Schüler der 4E aus dem Zimmer, das waren für uns schon richtige Erwachsene, und wir konnten hinein. Im Zimmer stank es meist furchtbar nach Schweiß und verbrauchter Luft. Unser Mathematiklehrer, der Herr Professor Hateier, (der Herr Professor hat Eier - blöder Schmäh, das ist tief! - aber er heißt wirklich so!), unser Mathematiklehrer - er war zugleich auch unser Turnlehrer - was habe ich unter ihm gelitten - pflegte in die Klasse zu kommen und mittels seiner Tasche alle Gegenstände, die die Schüler in der ersten Reihe auf dem Tisch liegen hatten, auf den Boden zu pflügen. Dabei pflegte er auszurufen: "Hier stinkt's wie in einem Hasenstall. Klassenordner: Fenster öffnen!" Aber ich schweife ab. Nur eins noch: Das einzige, was ich von ihm gelernt hatte, war der Hopserlauf.

Egal: Noch eine Anekdote:

In einer Turnstunde rief mich der Herr Professor Hateier zu sich. Er zeigte mir seinen Schlüsselbund und ließ ihn zu Boden fallen. Ich starrte den Professor entgeistert an, rührte mich aber nicht. Ein eifriger Schüler (Maximilian Ott) kam herbei gesprungen, hob den Schlüsselbund auf und reichte ihn dem Professor. Der sagte: "Siehst du, Mottas, wenn dir einmal die Schlüssel runter fallen, dann hebe ich sie dir auch nicht auf."

Und noch eine, weil gerade die olympischen Spiele in Sydney das Radioprogramm verpesten. (Was Ihnen nun helfen sollte, diesen Einschub zu datieren. Glauben Sie nur nicht, ich hätte all diese Memoiren in einem Zug geschrieben. Wobei nun nicht Eil- Sonder- Schnellzüge gemeint sind.):

Die allererste Turnstunde in Steyr. Wie es sich für eine ordentliche Turnstunde geziemt, mussten wir uns der Größe nach aufstellen. Die Zehenspitzen schön in einer Reihe, sonst lief man Gefahr, dass einem der Turnlehrer auf die Zehen steigt, was zu deutsch ungefähr heißen soll: "He! Du stehst zu weit vorn!" Und zivilisierte Leute würden es noch freundlicher ausdrücken. Nach einer Zeit des Sortierens standen wir also schön in einer Reihe und der Größe nach geordnet im stinkenden Turnsaal. Aus irgend einem Grund gehört es zu einem ordentlichen Turnsaal, dass er auch ordentlich stinkt. Der Gestank wird wahrscheinlich schon von der Turnsaalerbaufirma mitgeliefert. Die Schuldirektion kann möglicherweise aus verschiedenen Gestanksnoten wählen oder sich eine besondere Hausmarke zusammenmixen lassen. Nach der Fertigstellung des Turnsaals wird er eingestunken. Der Schulwart bekommt ein Fläschchen Gestankskonzentrat, und sobald der Gestank nachzulassen droht, muss er den Turnsaal neu durchstinken. Vielleicht sind es aber doch die geschundenen und verschwitzten Körper der SchülerInnen, die den einmal angestunkenen Turnsaal immer wieder nachstinken. Wir standen also in Reih und Glied, und Professor Hateier hat wahrscheinlich ein paar einleitende Worte an uns gerichtet. Wahrscheinlich etwas in der Art von: Wer nicht spurt kriegt es mit mir zu tun, verpackt in die alte Geschichte, die lautet: "Ich kann nett sein, aber auch streng, es liegt ganz an euch!" Obwohl der Professor Hateier damals eher ein junger Lehrer war, hing der dem Konzept der alten Schule nach: Die Klasse am Anfang tüchtig einschüchtern, später kann man die Zügel dann ein wenig lockern.

Nach der Einschüchterungsrunde zum Aufwärmen wurde ein sogenannter Kasten aufgebaut. Ich muss anmerken, dass ich damals trotz meiner zehn Jahre ziemlich naiv und unwissend in jeder Hinsicht war. Bis dato hatte ich angenommen, Kästen seien Gebilde aus Holz, die zum Aufbewahren von Dingen dienen. In meiner ersten Turnstunde lernte ich, dass auch viereckige Holzkonstruktionen aus mehreren übereinander geschichteten Holzrahmen mit einem Deckel mit dunkelbrauner Lederpolsterung als Kästen bezeichnet wurden.

Nachdem der sogenannte Kasten aufgebaut war, mussten wir uns wieder in Reih und Glied aufstellen, um danach ein paar Runden im Turnsaal zu laufen. Dann erklärte uns der Herr Professor, dass wir nun über den Kasten springen sollten. Wenn ich mich richtig erinnere mussten wir sogar mit einem Purzelbaum über den Kasten rollen. Dafür kann ich mich jetzt allerdings nicht verbürgen. Der Herr Professor zeigte uns die Übung vor und ein Freiwilliger durfte es als erster probieren. Ich hatte vor dieser Übung Angst und versuchte mich mit einer Notlüge zu retten, indem ich sagte: "Bitte ich habe mir gestern das Gnack verrissen." Der Professor fragte mich: "Und wie schreibst Du das: Gnack?" Wie gesagt: damals war ich sehr unwissend, aber ich erinnerte mich dann doch, dass man zu dem Ding da hinten auch Genick sagen konnte. Ich sagte also: "Bitte ich habe mir gestern das Genick verrissen." Damit war zwar der Fachausdruck des Körperteils unter dem Hinterkopf geklärt, aber springen musste ich trotzdem. Aus Angst nahm ich nicht genug Anlauf, und der Schwung reichte nicht aus, meinen Körper über den Kasten zu bugsieren, sodass ich zurückzufallen drohte. Der Professor eilte flugs herbei, konnte mich zwar noch auffangen, stolperte dann aber über eine Matte (Matte, auch so ein unseliger Fachausdruck für flache stinkende Dinge.) und fiel hin. Er sah mich so böse an wie viele Jahre (17) später mein Fahrschullehrer, als ich das Fahrschulauto fast in den Grünstreifen der Zweierlinie gelenkt hätte. Nachdem sich der Herr Professor von seinem Schreck erholt hatte, und es dauerte nicht lang, begann er zu schimpfen wie ein Rohrspatz. Halt, ich widerrufe: Rohrspatzen tschilpen, und selbst wenn sie schimpfen, klingt das für menschliche Ohren immer noch fröhlich. Das Geschimpfe vom Herrn Professor klang aber ganz und gar nicht fröhlich, und was die Lautstärke anbelangt, so schimpfte er sicher mit 100 SS (Spatzenstärken).

Diese erste Turnstunde prägte meine Einstellung zum Turnunterricht dauerhaft, und es ist nicht verwunderlich, dass ich viele Jahre (9) später der erste Schüler Österreichs war, der wegen eines "Nichtgenügend" in Turnen nicht zur Matura antreten durfte. Die Schuld lag natürlich nicht allein an Herrn Professor Hateier, in diesem Zusammenhang könnte auch ein Herr Professor Moser genannt werden. Aber davon später. Ich erlaube mir nur festzuhalten, dass ich immer ein bewegungsfreudiger Mensch war und es bis heute noch bin, auch wenn meine Knie gerade nicht mitmachen wollen. Aber der Turnunterricht war mir immer verhasst, wie auch alle Turn-Fachausdrücke, wie sie nur ein Wirrgeist wie Jahn erfinden konnte. (Einer der schlimmsten Fachausdrück, wohl der ekelhafteste von allen: "Leibeserziehung, Knaben". Dies klingt nach Turnsaalgestank, verschwitzten Leibchen und blauweißen Turnschuhen mit Gummisohlen.)

Zum Thema Fachausdrücke: Sport ist immerhin Schporrtt und als solcher eine ernste Sache. In Perg war der Turnunterricht besonders schlimm, denn zu den schmerzhaften und gefährlichen Akrobatikstücken kam noch eine gute Portion Mobbing. Ich werde zu geeigneter Zeit davon berichten. Vorerst aber wie versprochen eine Anekdote zum Thema Fachausdrücke: die 5a, die ich in Perg besuchte, war eine gemischte Klasse, der Turnunterricht fand aber nach Geschlechtern sortiert statt. Einmal fragte mich eine Klassenkameradin (Hinterreiter Monika), was wir denn in der Turnstunde gemacht hätten. Ich antwortete: "Wir haben Ball-über-die-Schnur gespielt." Sofort fielen meine männlichen, meine leibeserziehungknäblichen Kollegen über mich her: "Das heißt nicht Ball-über-die-Schnur, sondern Volleyball!" Wie gesagt, Sport ist immerhin Schporrtt, und da gibt es nichts zu lachen. Heute kann ich es gestehen: Ich habe absichtlich Ball-über-die-Schnur gesagt, um die Lächerlichkeit dieses tierischen Sporternstes zu unterstreichen. Damals allerdings rüttelte ich am Watschenbaum.

Sport ist immerhin Schporrtt, und Scherze sind nicht gefragt: Einmal spielten wir in Perg im Turnunterricht (Leibeserziehung, Knaben) Hallenfußball. Ich stand in der Nähe des eigenen Tors, und als der Ball zu mir gerollt kam, versuchte ich einen Scherz zu machen und schoss ein Eigentor. Na mehr habe ich nicht gebraucht. Alle fielen über mich her, wochenlang war die ganze Klasse auf mich böse. Wohlgemerkt: Es war lediglich ein Fußballspiel im Turnunterricht innerhalb der Klasse, zwischen zwei Mannschaften, die nur für diese eine Stunde zusammengestellt worden waren. Ich hatte gedacht, die meisten würden das lustig finden, aber ich hatte mich geirrt. Lustig fanden es meine Klassenkameraden nur, wenn ich stürzte oder mich sonst irgendwie verletzte. Wenn ich mich beim Fußballspiel nur ungeschickt anstellte, ohne mich jedoch zu verletzen hieß es: "Oaschloch, schias!" "Schau wosd hiii-schiasd, Darottl!" Und der Turnlehrer pflichtete ihnen nur bei. Meist endete ein Klassenfußballspiel für mich mit ein paar blauen Flecken.

Besonders lustig war das Zusammenstellen der Mannschaften für die jeweiligen Fußballspiele: Die beiden besten Fußballer wurden zu den Kapitänen der Mannschaften gekürt und durften abwechselnd einen Kameraden in die Mannschaft wählen. Nachdem die besseren Spieler weg waren, kamen die weniger guten dran, als letzter blieb immer ich über. Und die Mannschaft, die mich zugeteilt bekam, begann sofort zu rebellieren: "Naaa, ned scho wieda da Mooottas!" "Dea Droddl!" "Geh do gfreids mi nimma!" "Duads eam weg!" Wie gesagt, ich war hochmotiviert. Bis ich mich eines Tages überhaupt weigerte, an den Fußballspielen teilzunehmen. Statt dessen machte ich "Zivildienst", wie ich es nannte: Sprunggrube planieren, Gerätekasten zusammenräumen oder ähnliches. Manchmal wurde ich allerdings zum Mitspielen gezwungen. Dann stellte ich mich an den Rand des Spielfeldes und wartete dort, bis die Turnstunde vorüber war. Und kam durch Zufall der Ball zu meinen Füßen gerollt, dann schoss ich ihn schnell weiter, um die anstürmende Horde in eine andere Richtung zu locken. ("Schau wosd hiii-schiasd, Darottl!")

Ein Jahr lang war der Turnunterricht lustig: Es war in Steyr. Wir hatten einen neuen Turnlehrer bekommen, einen ganz frischen, einen, der noch Idealismus abseits von militärischem Drill bewahrt hatte. (Wenn ich nicht irre, war sein Name Schmidt.) In den Turnstunden machten wir entweder lustige Spiele für alle (z.B. das Piratenspiel) oder er teilte die Klasse in vier Leistungsgruppen ein: In der Gruppe eins waren die besten, die wurden mit speziellen Übungen gefördert. In der Gruppe zwei waren die nicht ganz so guten und so weiter. Ich war in der Gruppe vier. Wir durften tun und lassen, was wir wollten, Hauptsache wir bewegten uns ein bisschen und taten nichts Gefährliches. Auch das Fußballspielen war lustig: Wir waren 36 Schüler in der Klasse. Die engagiertesten 22 spielten auf dem "richtigen" Platz Fußball, und wir übrigen bekamen einen Ball und durften auf dem kleinen Platz Ballspielen. Keiner von uns wollte gegen irgendwen gewinnen, und daher war das Spiel einfach nur lustig. Manchmal ließen wir den Ball aber einfach liegen, setzten uns ins Gras und unterhielten uns über das Thema, das uns damals am meisten interessierte: Modellsegelflieger. (Über die Flugzeugmodelle der frühen Siebzigerjahre könnte ich auch noch einiges erzählen.)


Aber eigentlich wollte ich von den Zugfahrten berichten. Von den Fahrten mit dem Personenzug. Doch davon später. Nämlich jetzt. (Sie müssen wissen: zwischen dem "Doch davon später." und dem "Nämlich jetzt." sind viele Monate vergangen und ich habe in der Zwischenzeit schon viel Wasser gelassen, würde Terry Pratchett sagen.)

Was jeder Fahrschüler auf alle Fälle lernte, das war der Unterschied zwischen einer 1042er Lok und einer 1141er. Wir freuten uns immer, wenn eine 1042er Lok unseren Zug zog. Einmal kam eine Dampflok mit unserem Zug daher. Die wurde ausgelacht und ausgebuht. Heute wäre das eine Sensation, aber damals waren Dampfloks gerade frisch aus der Mode gekommen, und keiner von uns weinte ihnen nach.

Die Waggons waren grün. Eisenbahngrün. Grüne Waggons, die miteinander durch brückenähnliche Gebilde verbunden waren. Wenn man von einem Waggon in den nächsten wollte, musste man im Freien über diese Brücken gehen. An warmen Tagen konnte man die Fahrt überhaupt im Freien verbringen. (Ganz Coole setzten sich auf die Stiege, die zum Aussteigen gedacht war. Der Schaffner durfte das nicht sehen. Schaffnerinnen gab es damals noch nicht. Nicht einmal in der Vorstellung.) Und dann waren noch die schwarz gestrichenen Eisenstangen, die die Brücke von der Stiege trennte.

Ich kann Ihnen sagen, ich bin froh, dass damals nie das Aufsatzthema: "Beschreibe einen Eisenbahnwaggon." gegeben worden ist. Ziemlich dumm wäre ich da gestanden.

Im Inneren der Waggons waren Sitzbänke, die mit dunkelgrünem Kunstleder überzogen waren. An mehreren Stellen waren sie geflickt. In manchen Waggons waren die Lehnen nur schulterhoch. (Hier ist an die Schulterhöhe von sitzenden Menschen zu denken!) In diesen Waggons hatte man freie Sicht auf alle Passagiere.

Einmal hat der Dorfmaier Raimund eine Stinkbombe gekauft. Und der Kurt, sein zweieiiger Zwillingsbruder (schon wieder so ein eierhältiges Wortspiel!) hat die Stinkbombe zertreten. Im Zug. In einem vollbesetzten Zug. In einem Zug, in dem vor allem Arbeiter nach Hause fuhren. Arbeiter, die von der Arbeit müde waren, und die vor allem für derlei Scherze zu müde waren. Der Waggon war sehr schnell leer. Bitte rechnen Sie mit: Da ist ein Zug mit vier Waggons. Er ist voll besetzt. Ein paar Leute müssen sogar stehen. Und dann wird ein Waggon durch eine Stinkbombe unbrauchbar. Wie viele Personen müssen jetzt stehen? Die Gebrüder Dorfmayr stiegen in Ernsthofen aus. Der Zug war nun nicht mehr ganz so voll, denn mittlerweile waren auch schon viele Arbeiter ausgestiegen. Dadurch fand ich kein Versteck mehr in der Menge, und ein Arbeiter erkannte mich als einen der Bengel mit der Stinkbombe. Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte mich verprügelt.

Einmal bekam ich eine Ohrfeige. Bitte beachten Sie: Ich bin Pazifist und lehne Gewalt in jeder Form ab. Und Gewalt gegen Kinder sowieso. Aber für diese eine Ohrfeige, die ich damals bekommen habe, mache ich eine Ausnahme: Um die hatte ich gebettelt, wie man damals zu sagen pflegte. Es war eine Heimfahrt von Steyr und meine Schulkameraden und ich waren zum Leidwesen der anderen Fahrgäste in bester Laune. Ein älterer Mann schimpfte über uns, was dazu führte, dass wir ihn die ganze Fahrt über pflanzten. Verglichen mit den Rüpeln, die man heute aus den Schulen strömen sieht, waren wir die reinsten Waserl, aber für damalige Verhältnisse waren wir sehr lästig. Und zwanzig Minuten lang pflanzten wir den alten Mann unter Zuhilfenahme unserer gesamten kindlichen Fantasie. In Ernsthofen stiegen meine letzten Klassenkameraden aus. Alleine traute ich mich nicht weiter zu stänkern, aber nachdem in St. Valentin alle Passagiere ausgestiegen waren und durch die Unterführung gingen, näherte ich mich noch einmal dem alten Mann schlich mich an und rief dann "Juuuhuuu!" in sein Ohr. Er drehte sich um und pickte mir eine, ganz im Reflex. Und ich kann mich genau erinnern: Im selben Moment war mir klar: Das hast Du jetzt verdient.

Wie gesagt: ich lehne Gewalt gegen Kinder ganz entschieden ab. Aber für den alten Mann damals habe ich Verständnis.

Weiter in der Beschreibung der Waggons: Ein Ledergurt diente zum Öffnen und Schließen des Fensters. Der Gurt war an der Unterseite des Fensters befestigt und mit Hilfe dieses Gurtes konnte man das Fenster unterschiedlich tief in die Waggonwand versenken. Im Gurt waren in regelmäßigen Abständen Löcher eingestanzt, diese dienten zur Adjustierung des Öffnungsgrades des Fensters: An der Waggoninnenwand war ein Metallknopf befestigt an dem man den Gurt festmachen konnte. In das Ende des Ledergurtes war ein Holzstück eingenäht, und wenn man den Ledergurt gegen das dunkelgelb gefärbte Blechgitter der Heizung schwingen ließ, dann machte es "Gong!"

Ich sehe schon, die Leute, die solche Waggonfenster nicht kennen, können sich jetzt nichts vorstellen. Es ist aber verdammt schwierig diesen verdammt einfachen Mechanismus zu beschreiben. Nein: Quälen Sie Ihre Fantasie jetzt nicht. Sagen Sie einfach: Wovon spricht er? Begnügen Sie sich bitte damit: Die Waggons waren eisenbahngrün, und wer von einem Waggon zu einem andern wollte, der musste zuerst ins Freie. Logischerweise waren die Waggons miteinander verbunden. Erst das machte einen Zug zum Zug.

Meine Schulkameraden, die im selben Zug fuhren waren die Zwillinge Kurt und Raimund Dorfmayr. Sie stiegen in Ernsthofen zu. In Dorf an der Enns stieg der Schimpl Manfred zu, mit dem wir aber nicht viel zu tun haben wollten, da er uns gern und ohne Anlass verprügelte. In Haidershofen gesellten sich Pirkelbauer Reinhold, Schlögelhofer Werner, Winkler Siegfried und Kurt Heiligenmann dazu. Der einzige, mit dem ich heute noch in Verbindung stehe, ist der Kurt.

Meine erste große Liebe war die Gudrun H.. Sie war aus Ernsthofen und fuhr auch täglich nach Steyr. Zum erstenmal entdeckte ich die Anziehungskraft eines Mädchens auf mich. Meine Schulkameraden sprachen schon viel über Mädchen, aber mich hatte das nie interessiert. Und plötzlich verliebte ich mich in die Gudrun. Ich wusste nicht, wie ich mich bemerkbar machen sollte. Sie saß damals immer mit zwei Freundinnen aus Ernsthofen im Zug. Einmal setzte ich mich dazu, ein Gespräch wollte aber nicht richtig in Gang kommen. Ein paar Tage später sagte die Gudrun zu ihren Freundinnen – so laut, dass ich es hören musste: "Und so a Kaasmandl wü si zu uns setzn!" Ich habe sie nie wieder angesprochen, aber vergessen habe ich sie auch nicht.

Eine herausragende Figur im Zug war der Norbert - auch aus Ernsthofen. Er war ein bisschen verrückt, und wenn man ihn darum bat, gab er entweder seinen berühmten Brunftschrei oder den Urschrei zum besten. Als ich später die Schule wechselte und nach Perg pendelte, war der Norbert ebenfalls ein Fahrschüler auf dieser Strecke, und als ich noch viel später in Linz die schwindlige Maturaschule "Akademia" besuchte, war Norbert einer der Mitschüler. Er war Amateurfunker und berichtete abenteuerliche Erlebnisse. Er konnte gut erzählen und glaubte die Geschichten, die er erzählte, wirklich. Einmal habe er per Amateurfunk eine Passagiermaschine vor dem Absturz bewahrt. Aber er habe auch selbst schon eine geflogen und eine Notlandung mit Bravour geschafft.

Ich erinnere mich daran, wie er in der schwindligen Maturaschule "Akademia" einmal vor großem Publikum versucht hat, eine Zigarettenpackung in die Höhe zu werfen, zweimal in die Hände zu klatschen und dann die Packung wieder zu fangen. Er warf die Packung in die Höhe, klatschte zweimal in die Hände, aber die Packung kam nicht mehr zurück: Sie war auf der Halterung für die Neonröhre liegen geblieben. Diese Halterung war schmäler als die Zigarettenpackung, und geübte Zigarettenpackungszielwerfer könnten es jahrelang versuchen, es würde ihnen nicht gelingen, die Zigarettenpackung so zu werfen, dass sie auf der Halterung liegen bleibt. Dem Norbert allerdings passierten solche Sachen. Diesen Vorfall habe ich persönlich beobachtet.

Vor ein paar Jahren habe ich von Werner Gruber erfahren, dass der Norbert gestorben ist.

Doch zurück nach Steyr und der Zugstrecke St. Valentin – Steyr.

Am Bahnhof von Steyr gab es eine öffentliche Toilette, die von einer -– wie man damals sagte -– Klofrau betreut wurde. Der Ausdruck "Klofrau" war damals nicht abwertend gemeint, wohingegen der Schulwart (Black Jack, wegen seines schwarzen Arbeitsmantels) heftig darauf bestand "Schulwart" zu sein und nicht Schuldiener.

Die Klofrau vom Steyrer Bahnhof war eines der Ziele unserer Streiche. Vom Fenster ihres Dienstzimmers aus konnte sie auf den Bahnhofsvorplatz schauen. Es sei denn, jemand stand davor. Wir machten uns einen Jux daraus, immer solange vor dem Fenster herumzulungern, bis die Klofrau kam und uns verjagte.

Eine andere Person, die gerne gepflanzt wurde, war die Frau vom Zeitungskiosk. Das war schon eine ältere Dame. Es war – glaube ich – der Schlögelhofer Werner, der zu ihr sagte: "Ich bekomme bitte ein (?)-Heftl mit einer Senfquatschen." Doch so schnell konnte er gar nicht schauen, da hatte die Verkäuferin schon ein Holzlineal in der Hand, das sie ihm auf den Kopf schlug. Bei dem Zeitungskiosk kauften wir manchmal Wachszünder: Das waren Streichhölzer, die man an glatten Oberflächen anreißen konnte.

Zwischen Bahnhofsvorplatz und Bahnsteig war ein Durchgang, in den man durch eine Doppelschwingtür aus Glas gehen konnte. Jede Seite dieser Schwingtür war separat absperrbar. Einer unserer Scherze bestand darin, eine Seite abzusperren und uns vor die andere Seite zu stellen. Leute, die nun in den Bahnhof wollten, versuchten nun die nicht verstellte Seite zu benutzen und rannten natürlich dagegen, da sie ja versperrt war.

Am Bahnsteig gab es noch ein Buffet. Dort kauften wir immer Süßigkeiten. Meine Lieblingssüßigkeiten waren Kokosstangerl. Die kosteten 50 Groschen. Das Billigste waren die legendären Stolwerck zu 10 Groschen das Stück. Wenn ich mir ein Kokosstangerl kaufen wollte, musste ich mir das Geld dazu ausborgen. Am nächsten Morgen gab ich es zurück, um es mir zu Mittag wieder auszuborgen. Ich hinkte meiner Zeit immer ein Kokosstangerl nach.

Bei dem Buffet kauften sich viele Arbeiter ein Stehbier während sie auf ihren Zug warteten. Es standen daher immer einige leere Bierkrüge herum, für mich war das damals eine ziemliche Geruchsbelästigung, und das ist deshalb so erstaunlich, weil heute Bier zu meinen Lieblingsgetränken zählt.

Das Wiedersehen mit Professor Hateier:

In den späten Siebziger Jahren fand ein Schülerfußballturnier statt. Fragen Sie mich nicht wo, es war wohl irgendwo in Oberösterreich. Die Schulmannschaft des BORG Perg nahm auch teil und ich wurde verpflichtet mitzufahren, um die Spieler anzufeuern. Schon die Fahrt im Bus war eine Qual: Oleeeoleoleoleee gab damals gottseidank noch nicht, dafür wurde eine ähnlich grauenvolle Hymne eingeübt: Peaga saaama, gwinna daaaama eheeeheoheeoooh. Mir rollte es die Zehennägel auf. Als wir dann beim Austragungsort ankamen, waren dort schon ein paar Mannschaften, die sich auf dem Fußballplatz aufwärmten. Unter anderem eine Mannschaft aus Steyr und als Begleiter: der Herr Professor Hateier. Er erkannte mich sofort und forderte mich auf, für Steyr zu schreien. Er war nur schwer zu verstehen, denn die "Anhänger" der Mannschaften lieferten sich schon Schreiduelle, noch bevor das erste Spiel begonnen hatte. Und irgendjemand der Steyrer hatte eine lautstarke Kurbelsirene mit. Ich kam in einen schweren Gewissenskonflikt: Einerseits hätte es mich gereizt, für Steyr zu schreien, Quergeist der ich war. Andererseits wollte ich nicht für die Mannschaft des Professor Hateier schreien. Und außerdem: Es war grundsätzlich unter meiner Würde, überhaupt für ein Fußballspiel zu schreien. In der Zwischenzeit war aus dem Schreiduell eine Rempelei geworden, wobei es den Pergern gelang, den Steyrern die Sirene wegzunehmen. Und wären nicht die begleitenden Lehrer eingeschritten, wäre es wahrscheinlich zu einer Massenschlägerei gekommen. Wie gesagt, noch bevor das erste Spiel begonnen hatte.

Einschub: Als ich ein sehr kleines Kind war, hat mich mein Vater hin und wieder zum Fußballplatz mitgenommen. Mein Problem war, dass ich von den Spielen überhaupt nichts mitbekam. Ich wusste nur, dass man hin und wieder "Tooor!" brüllen musste. So brüllte ich hin und wieder: "Tooor!" Natürlich zu unpassenden Zeiten. Manchmal sagte mein Vater: "Schau, jetzt musst du Tooor schreien." Mir gelang es nie, dahinter zu kommen, nach welchen Regeln und wann man Tooor schreien musste, bemerkte aber, dass alle anderen am Fußballplatz diese Problem nicht hatten. Ich fühlte mich ausgeschlossen von einem Geheimwissen, und langweilig war mir auch. Sehr langweilig. Das dürfte so um 1965 gewesen sein.

Zurück in die späten Siebziger, zurück zum Spiel Steyr gegen Perg. Der Premstaller Christoph und ich hatten einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden: Anstatt uns den üblichen Schlachtgesängen anzuschließen, schrieen wir hin und wieder: "Ein fröhliches Mühlviertel!" Das Unterhaltsame daran war, dass Christoph und ich – ohne dass wir uns ein Zeichen geben mussten, und ohne dass irgend etwas außerordentliches am Spielfeld geschah – synchron unseren "Schlachtruf" ausstießen. Diesmal waren es die anderen, die vom Geheimwissen ausgeschlossen waren. Dummerweise waren die anderen natürlich mehr. Sie wurden durch den für einen Fußballplatz unüblichen Schlachtruf, der noch dazu ohne Korrespondenz zum Fußballspiel erschallte, dermaßen irritiert, dass sie uns Prügel androhten, sollten wir noch einmal: "Ein fröhliches Mühlviertel!" rufen. Wenn man oft genug von Fußballern oder Fußballfans verprügelt worden ist, kennt man den Überziehungsrahmen, und weiß ab wann es wirklich gefährlich wird. Deshalb riefen wir noch ein paar Mal: "Ein fröhliches Mühlviertel!" und zogen uns dann von dem Spiel zurück, mit dem wir ohnehin nichts zu tun hatten. Statt dessen diskutierten wir, ob Twist nun die Krönung des Rock'n'Roll sei oder eine Degenerationserscheinung. Wir sprachen sicher auch über die Beatles.

Es wird wohl um diese Zeit gewesen sein, als Christoph in St. Georgen an der Gusen in einer Band Gitarre spielte, und ich war in St. Valentin "Keyboarder" von Rockin' Splash. Rockin' Splash, das waren Lechner Charley, unser Bandleader an der Leadgitarre, Werner Gruber – obwohl Fußballer schwer in Ordnung – am Bass, Klaus Winninger (der Hasenbauer) an der Liegegitarre (er spielte am liebsten ausgestreckt am Rücken liegend und alle zwei Stunden einen Akkord), Edgar Mottas, mein Cousin, am Schlagzeug und ich an der Bontempi-Orgel. Später stieg ich auf eine Tiger Echo um. Den Namen Rockin' Splash hatte ich erfunden, und ich empfahl dem Christoph, die Band, in der er spielte, Rockin' Splish zu nennen. Es kam sogar zu einem kleinen Festival im Gasthaus "Pöschko", wo beide Bands auftraten, zusätzlich spielte Robert Sattler Schlagzeug. Die Veranstaltung endete im Chaos: Der Wirt sperrte uns im "Konzertsaal" ein, um uns der Polizei zu übergeben. Obwohl dieser Raum im ersten Stock lag, konnten wir über das Fenster alle Instrumente in Sicherheit bringen und dann flüchten.

Etwas später löste sich Rockin' Splash auf weil Edgar zu "Purple Ghost" wechselte. Werner Gruber und ich stiegen bei der Band von Christoph ein. (Klaus Winninger wurde Musikjournalist und hat es tatsächlich zu etwas gebracht. Charly Lechner gründete die Rock'n'Roll Band "Feedback") Unser Bandname war nun Sigma, und das waren Rudi Wiesmayr (Schlagzeug, Proberaum, Bandbus und Schwestern), Christoph (Leadgitarre), Richard Peyerl (Rhytmusgitarre), Werner Gruber (m-m Bass: der Bass machte nie dumm-dumm, sondern nur m-m) und ich an der Tiger Echo. Als eines Tages Peyerl Richard bei einem Mopedunfall ums Leben kam, wechselte ich zur Gitarre. Wir spielten ein Konzert in memoriam Richard Peyel. Damals spielte Elisabeth "Elo" Wagner (mittlerweile Marothy) auf der Tiger Echo. Sie und Christoph waren die beiden, die wirklich was drauf hatten, wir anderen hatten zwar viel Spaß, aber musikalisch waren wir nicht gerade Leuchten.

Diese kurze Ausflug in die Musik soll zeigen, woher ich die Kraft hatte, gegen die Widrigkeiten einer übersportelten Schule anzuleben.

Mein zweites Refugium war beim Olaf in Steinbach an der Steyr. Beim Olaf war immer etwas los. Es gab viele Leute mit Gitarren, die mit dem Gitarrenbuch von Peter Bursch Gitarrespielen gelernt hatten. Die Fahrt zum Olaf war schon ein eigenes Erlebnis. Zuerst mit der Rudolfsbahn der Enns entlang nach Garsten. In Garsten stieg ich dann in die Steyrtalbahn um, die damals noch regulär dampfbetrieben geführt wurde. Noch heute habe ich den Kohlengeruch in der Nase und in angenehmer Erinnerung. Und wenn ich im Prater bin und die dampfbetriebene Liliputbahn vorbeifährt, dann sauge ich den Rauchgeruch tief ein und lasse mich in der Erinnerung wieder zurück zur Steyrtalbahn tragen. Es war eine Schmalspurbahn, der Steyr entlang, durch Wälder und Wiesen und so weiter. Ich hatte immer meine zwölfsaitige Westerngitarre mit, wenn ich zum Olaf fuhr. Und wenn ich dann so im dampfbetriebenen Zug der Steyr entlang fuhr, träumte ich davon, wie schön es wäre, einmal mit der Gitarre nach Nashville zu fahren und dort aufzutreten. Wissend, dass das ein sinnloser Wunschtraum ist. Und dann, viele Jahre später wurde der Wunsch fast Wirklichkeit: Ich trat zwar nicht in Nashville auf, dafür aber im Nashville. Das Nashville ist ein gemütliches Lokal in Wien, in dem es fünfmal in der Woche Livemusik gibt. Es wurde ungefähr zu der Zeit eröffnet, zu der ich hin und wieder nach Steinbach an der Steyr fuhr. 1999 und 2000 bin ich öfters im Nashville aufgetreten, habe Rock'n'Roll und Countrymusic gespielt, und eines Tages ist mir der Wunschtraum von damals wieder eingefallen.

Einschub Oktober 2012: Heuer waren wir mit unserer Band "Flatcat Ramblers" von den Steyer Grünen eingeladen worden, in der Steyrtalbahn während der Fahrt von Steyr nach Grünburg zu spielen. Da kamen viele Jugenderinnerungen auf.

Weiter im Originaltext:

Ich könnte jetzt noch von Pater Roland und dem Verein "Jugendhilfe Perg" erzählen oder vom Verein "Adsum" – alles Parallelaktionen zu meinem Perger Schülerleben. Aber ich begnüge mich damit, noch einmal darauf hinzuweisen, dass ich der erste Schüler Österreichs war, der wegen eines "Nichtgenügend" in Turnen (Leibeserziehung Knaben) nicht zur Matura antreten durfte.

Der Bahnhof von Perg war ganz sicher kein Kopfbahnhof. Wie sehr ich mein Erinnerungsvermögen nun auch quäle, ich sehe ihn nur vage vor mir. Wohl aber fallen mir ein paar Episoden ein.

Zum Beispiel:

Es war Winter, und während des Vormittags hatte es viel geschneit. Eine Gruppe SchülerInnen wartete auf den Zug nach Hause. Wir hatten eine lustige Schneeballschlacht. Ich nahm einen leichten Schneeball in die Hand und wollte damit der Doris (?) das Gesicht einrübeln. Sie lief davon, in den Wartesaal und warf hinter sich die Tür zu. Ich war dermaßen schnell hinter ihr her, dass ich nicht mehr bremsen konnte und mit der Hand eine Fensterscheibe in der Tür einschlug. Natürlich machte ich mich sofort auf den Weg zum Bahnhofsvorstand, um das zu melden, aber der Fahrdienstleiter kam mir auf halbem Weg entgegen geschritten. "So!" sagte er, "Du gehst jetzt zu dem Polizisten dort und meldest was du getan hast!" Beim Bahnhof stand ein Polizeiauto, in dem ein Polizist saß. Das Auto stand jeden Tag um die Zeit dort, um den Postwaggon zu schützen. Ich sagte: "Wozu soll ich das dem Polizisten melden. Schreiben Sie sich einfach meinen Namen und die Adresse auf, und meine Eltern werden den Schaden bezahlen." Aber nein, der Fahrdienstleiter zerrte mich zum Polizeiauto und erzählte dem Polizisten, dass ich eine Scheibe eingeschlagen hätte. Der Polizist zwang mich ins Polizeiauto und sagte, ich hätte Glück, dass da ein paar Leute zusehen, sonst würde er mich verprügeln. Ich sagte, dass ich die Scheibe nicht absichtlich eingeschlagen hätte und mich ohnehin melden wollte. Nach längerem Hin und Her schrieb sich der Fahrdienstleiter dann doch meinen Namen und meine Adresse auf. (Ob ich mir weh getan hätte, fragte mich niemand!) Zu Hause erzählte ich das meiner Mutter. Sie rief den Fahrdienstleiter an und fragte ihn, warum er mich gleich zur Polizei geschickt hätte. Er meinte nur, mit Schülern rede er nicht. Jedenfalls vereinbarten sie, dass er mir eine Rechnung geben werde, und meine Eltern würden die Scheibe bezahlen.

Eine Zeit lang geschah gar nichts. Nach zwei Wochen sagte mir mein Klassenvorstand, dass der Fahrdienstleiter angerufen und erzählt hätte, dass ich eine Scheibe eingeschlagen habe und sie nicht bezahlen wolle. Ich erklärte ihm den Hergang. Ich war zwar als schlimmer Schüler bekannt, aber mein Klassenvorstand glaubte meiner Version. Außerdem sagte ich, dass meine Eltern den Schaden bezahlen würden, sobald ich eine Rechnung bekäme. Eine Woche später fragte mich dann der Schulwart, warum ich die Scheibe nicht bezahle, der Fahrdienstleiter habe schon mehrmals in der Schule angerufen. Wieder erklärte ich meine Sicht der Dinge.

Wieder ein paar Tage später kam der Bahnhofsvorstand zu mir und fragte mich, ob ich denn gar kein schlechtes Gewissen hätte. Zum abertausendsten Mal erklärte ich, dass ich die Scheibe bezahlen würde, sobald mir endlich jemand sagt, wie viel sie gekostet hat, und dass ich bisher noch keine Rechnung bekommen hätte. Nun drückte der Bahnhofsvorstand ein bisschen herum und sagte schließlich, dass die Bahnhofsarbeiter eine neue Scheibe eingebaut hätten, dass das eigentlich nichts gekostet hätte, aber ich sollte den Arbeitern ein Bier zahlen. Ich fragte nicht, warum man mir das nicht gleich gesagt hat, zahlte den Preis einer halben Kiste Bier und die Sache war erledigt.

Wenige Monate später wurde der Bahnhof abgerissen und neu errichtet. Auch der neue Bahnhof war kein Kopfbahnhof.

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SANTY WAR EIN ARSCHLOCH

"Santy war ein Arschloch. Und zwar eins von der Art Arschlöcher, auf die Frauen aus irgend einem Grund fliegen. Santy war ein ziemliches Arschloch, eins von der Art Arschlöcher, die von Frauen immer in Schutz genommen werden. So ein Arschloch war Santy. Und ausgerechnet dieses Arschloch musste meine Wege kreuzen. Santy war ein derartiges Arschloch, sage ich Ihnen!"

"Okay", antwortete ich, "jetzt wissen wir, dass Santy anscheinend ein Arschloch war. Und was weiter?"

"Nicht anscheinend ein Arschloch, Herr Detective, das war ein Riesenarschloch. Und die Frauen sind ihm trotzdem zu Füßen gelegen."

"Herr Bunker!" sagte ich mit gequälter Geduld, es wäre mir recht, wenn Sie mir erzählen würden, was weiter letzten Donnerstag geschehen ist."

"Letzten Donnerstag kam dieses" – Bunker machte eine Pause, als würde er einen passenden Ausdruck suchen – "dieses, dieses – Arschloch - in mein Geschäft! Es war gegen sieben. Ich wollte gerade schließen, da kam dieses Arschloch."

"Herr Bunker, Sie haben jetzt oft genug den Ausdruck Arschloch verwendet, würden Sie bitte eine neutrale Bezeichnung für den Mann verwenden, den Sie immerhin umgebracht haben."

"Also dieses, dieser, dieser Santy kam, als ich gerade schließen wollte." Die Erinnerung übermannte Bunker, es schien, als könne er nicht weiter berichten, wenn er dabei den Ausdruck Arschloch nicht gebrauchen dürfte. "Ich wollte gerade schließen." wiederholte er. "Es war kurz nach sieben. Scheiße! Um diese Zeit bin ich sonst schon unterwegs!" Bunkers Stimme war heiser geworden, er war kurz davor, in Tränen auszubrechen. "Scheiße!" sagte er noch einmal, dann verstummte er.

Ich sah ein, dass ich heute nicht mehr viel aus ihm heraus bekommen würde. "Herr Bunker", ich versuchte möglichst versöhnlich zu klingen, "für heute ist es genug. Ich komme morgen früh wieder. Guten Abend!"

Ein klassischer Fall, dachte ich mir, als ich meine Pfeife stopfte. Ein klassischer Fall, und trotzdem ...

"Harry, das gefällt mir nicht!" sagte ich zu einem Sergeanten, der mir zufällig über den Weg rannte. Er verstand den Witz nicht und schaute mich verblüfft an. "Was meinten Sie, Sir?" Ich antwortete: "Ach, nichts." und setzte meinen Weg fort. Der Sergeant steht wahrscheinlich noch heute an der Stelle und staunt.

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SITZEND PINKELN IN DER WACHAU

Wenn man Wachau hört, dann assoziiert man damit Wein und Marillenblüte, nicht aber Sitzend Pinkeln. An die Marillenblüte denkt man, nicht aber an die Weinblüte. Da stellt sich die Frage, ob Wein überhaupt blüht. Eigenartig: Wein – ein österreichisches Kulturgut, und dann weiß man nicht einmal, ob bzw. wie Wein blüht. Bis man eines Tages eine flurnamenkundliche Arbeit von Heinrich Stary in die Hände bekommt und erfährt, dass es für die Weinblüte sogar einen Fachausdruck gibt: Gescheine. All diese Gedanken lenken einem vom Pinkeln im Sitzen ab. Mariandl assoziiert man mit der Wachau. Und Mariandl pinkelt im Sitzen. Die Entscheidung, sitzend oder stehend zu pinkeln, muss in der Regel nur von Männern getroffen werden. Es gibt natürlich auch Zwischenformen, wie etwa hocken und kauern.

Von den alten Frauen von Brestowatz wurde berichtet, dass sie im Stehen gepinkelt hätten. Sie hatten zwar lange bis zum Boden reichende wallende Röcke an, aber keine Unterwäsche. Manchmal konnte man eine der alten Frauen beobachten wie sie die Straße fegte. Sie hielt kurz im Fegen inne und grätschte die Beine. Man hörte ein leises Zischen und Plätschern, und wenn die alte Frau das Straßenfegen fortsetzte, dann konnte man an der Stelle, an der sie inne gehalten hatte, eine Pfütze entdecken. Über den Gesichtsausdruck der alten pinkelnden Frauen wurde leider nichts berichtet.

Das war in Brestowatz und es ist schon über 60 Jahre her.

Da drängt sich noch eine Erinnerung auf: Der Pichlinger See ist ein Baggersee in der Nähe von Linz. Mittlerweile ist er gut erschlossen: Es gibt ausreichend Toiletten und Umkleidekabinen. In den 70-er Jahren gab es kaum Klos und überhaupt keine Umkleidekabinen. Dafür hatte eine Erfindung Saison: Die tragbare Umkleidekabine. Das war ein Stoffsack, den man sich wie ein Kleid über den Körper stülpen konnte. Für den Kopf gab es ein Loch mit einem eingenähten Hosengummi. Wollte man sich nun umziehen, dann stülpte man sich diesen Sack über. Darunter konnte man ungeniert die Wäsche wechseln, wenngleich einem das Ganze einiges Geschick abverlangte. Der Gesichtsausdruck der sich umziehenden Personen zeugte von überspielter Scham und größter Konzentration.

Gibt es diese tragbaren Umkleidekabinen noch? Darf man sie in Badeanstalten verwenden, wo die Umkleidekabinen gebührenpflichtig sind? Wie lautet der Produktname?

Eine andere Begebenheit wurde im Mostviertel in den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts beobachtet. Eine Gruppe von Leuten des Telegrafenbauamtes Haag war dabei, das Gelände zu vermessen: Eine neue Trasse für einen Telefonleitung sollte abgesteckt werden. Einer der Telegrafenbaubeamten – er war mit einem rustikalen Anzug bekleidet und trug einen Filzhut – erklärte einem Kollegen, wo Vermessungssteine eingegraben werden sollten. Während er sprach, öffnete er den Hosenschlitz, holte seinen Pimmel heraus und pinkelte ungeniert in die Wiese. Ohne im Sprechen inne zu halten, ohne sich abzuwenden, ohne mit der Wimper zu zucken. Er pinkelte mit der selben Natürlichkeit, mit der er sich den Filzhut zurecht rücken würde. Er klopfte ab, verstaute seinen Pimmel wieder in der Hose und trug in seinem Plan die Stelle ein, an der der Vermessungsstein vorgesehen war. Für das Schleppen und Vergraben des Vermessungssteins war ein Zivildiener zuständig.

Das ging dann so, dass der Telegrafenbaubeamte den Zivildiener beauftragte, ein Loch auszuheben, den Stein zu holen und einzugraben. So ein Vermessungsstein wiegt gut und gerne 60 Kilo. Der Zivildiener schleppte sich mit dem Stein ab und vergrub ihn an der angegebenen Stelle. Da meinte der Vermessungsbeamte: "Ich habe es mir überlegt, die Stelle ist ungünstig, grabe den Stein wieder aus und setze ihn hierher." Er zeigte dem Zivildiener die betreffende Stelle. (Ohne dabei zu pinkeln.) Der Zivildiener grub den Stein aus, schüttete das Loch zu, grub ein neues Loch, schleppte den Stein dorthin und vergrub ihn. Der Vermessungsbeamte ließ den Zivildiener den Stein noch mehrmals aus- und wieder eingraben und meinte dann am Ende des Arbeitstages: "Weißt Du was? Wir brauchen eigentlich keinen Stein: Grabe ihn aus und bring ihn zurück zum Auto."

Natürlich wusste der Zivildiener, dass das nur eine Schikane war, mit der sich der Vermessungsbeamte den Tag verschönern wollte, aber er machte freundliche Miene zum bösen Spiel. Von seinem Onkel hat er einen Tipp bekommen, wie man Vermessungsbeamten einen Streich spielen könne: Wenn im Gelände eine gerade Linie abgesteckt werden soll, dann geschieht das folgendermaßen: Der Vermesser blickt durch ein optisches Gerät, einen sogenannten Theodolit und der Zivildiener hält ungefähr 200 Meter davon entfernt einen Pflock. Der Telegrafenbaubeamte signalisiert mit Handzeichen, ob der Pflock mehr nach rechts oder mehr nach links gehört, und sobald der Zivildiener den Pflock an die richtige Stelle gebracht hat, wird ihm mit Handzeichen signalisiert, dort den Pflock einzuschlagen. Der Streich besteht nun darin, dass man, sobald man das Zeichen zum Einschlagen des Pflockes erhält, den Pflock einen halben Meter nach links oder nach rechts hält. Daraufhin gerät der Vermesser in Bewegung und beginnt zu fuchteln und zu hüpfen, aber aufgrund der Entfernung kann er nichts sagen. Dieses Spiel kann man als Zivildiener maximal zwei Mal spielen, beim dritten Mal würde der Vermesser gesundheitsgefährlich rabiat werden.

Ein anderer Telegrafenbaubeamter sagte: "Ihr Zivildiener gehört alle nach Mauthausen, und dann: tatatatatatat!" Dabei schoss er mit einem "Luftmaschinengewehr" auf den Zivildiener. Und das meinte er ernst. Traurig, aber wahr!

An all das denkt man natürlich nicht, wenn das Stichwort Wachau fällt. Man denkt vielleicht an einen Buschenschank, wo es herrlichen Wein und köstliche Brote gibt, wo all das noch dazu so billig ist, dass man einen Abend lang nach Herzenslust essen und trinken kann. Zum Schluss kostet alles weniger als zwei Vierterl Wein in der Stadt kosten würden. Bei diesem Buschenschank sitzt man bis lange in die Nacht hinein, plaudert mit Bekannten oder anderen Besuchern. Und wenn man dann zum Quartier zurück geht, dann schwankt und wankt die Welt. Und wenn man auf dem Heimweg Harn abschlagen muss, tut man das in ähnlicher Ungeniertheit, wie der Telegrafenbaubeamte: Man ist zwar in der Wachau, aber man pinkelt im Stehen. Unter Gelächter mitten auf die Straße, in einen Kanalschacht oder dezent zu einem Busch. Aus irgend einem Grund halten es die Frauen immer aus, bis sie bei einem Klo sind. Selbst auf dem Heimweg von einem Buschenschank.

Nicht alle, aber manche denken an den 20. Juni 1998. An dem Tag fand in Stein bei Krems ein Weinfest statt. Aus diesem Anlass floss aus dem Stadtbrunnen Wein. Genaugenommen war es so, dass beim Stadtbrunnen ein Fass Wein angeschlagen wurde, und wer wollte, konnte dort gratis Wein trinken. Dazu spielte die Blasmusik und ein Volksliedchor sang: "Die ollaschenstn Hauer, deees san die Wachauer ..."

Bei manchen Liedern fassten sich die SängerInnen an den Händen und bildeten einen Kreis. Ein deutsches Touristenehepaar, das die Szene beobachtet hatte, wurde eingeladen, mitzutanzen, und es hatte große Freude daran.

Für dieses Weinfest war ein Teil der Straße gesperrt worden. Dennoch kam ein Motorradfahrer die Straße herauf gefahren. Er war ganz in schwarzes Leder gekleidet, hatte einen schwarzen Helm mit schwarz getöntem Visier auf, und sein Motorrad war auch schwarz. Er kam bis zu der Stelle, wo der in Tracht gekleidete Volksliedchor Lieder eines Kremser Heimatdichters sang. Der Motorradfahrer sah ein, dass er hier nicht durchkommen würde, also ließ er nur den Motor ein paar Mal aufheulen und fuhr dann zurück. Als er dann auf der Bundesstraße war, gab er so richtig Gas und brauste mit einem Höllengetöse davon.

Wer nach dem Weingenuss pinkeln musste, durfte das Klo eines Buschenschankes benutzen.

(Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Buschenschank und einem Heurigen? Bei einem Buschenschank darf nur Wein aus eigenem Anbau ausgeschenkt werden, bei einem Heurigen darf man auch zugekauften Wein kredenzen.)

Es ist nun der geeignete Zeit(?)punkt gekommen, Namen zu nennen: Franz, Deix, Harri, Christine, Michaela und Dagmar. Und ich war auch mit von der Partie. (Ich, das ist in dem Fall Norbert Mottas. Genau: Der!)

Ich war mit dem Zug nach Krems gefahren. Vom Bahnhof haben mich Franz, Deix, Harri, Christine und Michaela abgeholt. Christine kannte von ihrer Studienzeit eine Frau in Krems, bei der rief sie an und fragte, ob sie mit ein paar Freunden übernachten könne. Die Freundin – Dagmar – war angesichts des Überfallskommandos zwar kurz sprachlos, stellte sich dann aber als äußerst gastfreundlich heraus. Ihr Mann war Schulwart, und die Dienstwohnung war groß genug, um so einer Horde improvisiert Quartier geben zu können.

Wir fuhren zu sechst im Auto zur Wohnung von Dagmar & Co. Dort verstauten wir unser Zeug, dann fuhren wir zu siebt im Auto nach Stein. (Der rote Mazda von Harri war für fünf Leute zugelassen.) An einer Kreuzung, an der wir anhalten mussten, stand ein Polizist. Er schaute ins Auto, blickte kurz entsetzt drein, dann winkte er uns schnell weiter. In Stein parkten wir das Auto ganz nahe an einer Mauer, so dass wir alle auf einer Seite aussteigen mussten. Leute, die uns beim Aussteigen zusahen, zeigten offenes Staunen, als das Aussteigen kein Ende nehmen wollte.

Aber es herrschte schönes Wetter, es war Weinfest, und über Krems und Stein lag eine Wolke von Heiterkeit. Am Abend sollten dann noch ein paar Zeltfeste statt finden, auch das eine oder andere Feuerwerk war angesagt.

Wir holten uns Wein vom Stadtbrunnen und ein paar belegte Brote. Ich kaufte mir eine Flasche Limonade (Frucade), der ich es verdanke, dass ich – als der tanzede Kreis gebildet wurde – vom Mitmachen verschont wurde, weil ich die Flasche unbedingt in Händen halten musste. Aber Franz, Deix, Harri, Christine, Michaela und Dagmar kamen nicht ungeschoren davon.

Nachdem der Wein vom Stadtbrunnen versiegt war, machten wir einen kleinen Rundgang und suchten uns dann einen Buschenschank, um dort zu versumpern. Als es finster wurde, gingen Christine, Deix und ich spazieren und nahmen ein paar Flaschen Wein mit. Wir stiegen auf einen Hügel, von wo aus ein herrlicher Ausblick auf die Gegend war: Wir sahen die Feuerwerke. In die Donau waren haufenweise schwimmende brennende Kerzen gesetzt worden, ein paar Boote fuhren in voller Festbeleuchtung auf und ab. Christine erzählte heitere Anekdoten aus der Zeit, die sie in Krems verbracht hatte. Und die Weinflaschen machten die Runde.

Als wir zum Rest der Partie stießen, waren die auch schon gut angetrunken. Wir tranken noch tapfer weiter, und als es Zeit war, den Rückweg anzutreten, wollten der Franz und der Harri tatsächlich mit dem Auto fahren. Wir anderen und die Wirtin konnten es ihnen zum Glück ausreden. Zu unserem Quartier waren es ungefähr fünf Kilometer, aber wir brauchten mehr als zwei Stunden. Auf halbem Weg kehrten wir in einem Pub ein und tranken Bier. Irgendetwas fiel dort vor, aber ich erinnere mich nur mehr dumpf daran: Irgendwer hat irgendwas irgendwohin geschrieben.

Wir kamen an einer Baustelle vorbei. Von dort hat der Franz ein Umleitungsschild genommen und so platziert, dass die ganze Straße abgesperrt war. Als wir schon fast daheim waren, fehlten Franz und Harri. Sie waren in eine Künette gefallen, und Franz war nahe daran einzuschlafen.

Ich will mich nicht dafür verbürgen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass ich irgendwann in eine Baugrube gepinkelt habe. Stehend, versteht sich.

"Was hat das alles mit "Sitzend Pinkeln in der Wachau" zu tun?", fragen Sie sich zurecht. Ich werde es Ihnen erklären.

Am nächsten Tag wurde uns von unseren GastgeberInnen ein üppiges Frühstück aufgetischt. Franz, der sich geweigert hatte, in einem normalen Bett zu schlafen, und es vorgezogen hatte, sich in einen Teppich einzurollen, klagte über Muskel- und Gelenksschmerzen. Wir anderen waren zwar auch leicht angeschlagen aber doch größtenteils guter Dinge.

Am frühen Nachmittag waren wir im Park von Krems in einem Gastgarten. Es war gerade das Donaufestival im Gange. In der Nähe des Gastgartens war eine Bühne, auf der eine bayerische Volxmusikgruppe spielte. Seltsamerweise wirken Volxmusikanten immer todernst, selbst wenn sie Spaß machen.

An unserem Tisch ging ein Mann vorbei, der eine Krawatte mit aufgemalten Klaviertasten trug. Ich habe ihn sofort erkannt: Es war Axel Zwingenberger.

Vielleicht kennen Sie das: Am Tag nach einer rauschenden Nacht befällt einen eine depressive Stimmung, und das beste Getränk dagegen wäre Tee, am besten Darjeeling. Aber an einem heißen Frühsommertag in einem Gastgarten, da trinkt man keinen Tee. Zuerst bestellt man noch Mineralwasser, aber irgendwann beugt man sich dann dem Druck des Faktischen und kauft sich ein Bier. Man geht dann früh zu Bett und schläft sehr gut. Vor dem Zubettgehen geht man natürlich pinkeln. Und jetzt sind wir genau da: Man pinkelt im Sitzen. Auch wenn man die Wachau schon verlassen hat, wenn man längst zurück in Wien ist.

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TELEFONGESPRÄCH

"Ach du meine Güte, Ach-du-mei-ne-Gü-te!", höre ich eine Frauenstimme im Telefon, "was sollen wir jetzt machen?"

Eine Männerstimme antwortet: "Ich weiß es auch nicht."

"Dabei hat sich Edi so darauf gefreut."

"Und Gertrude erst!"

"Ja, und jetzt ist es zu spät, um diese Zeit ist es unmöglich, noch irgendwo Tischtennisbälle aufzutreiben."

"Dabei hat sich unser Edi so darauf gefreut!"

"Wie unsere Gertrude."

"Entschuldigung", sage ich, "ich hätte noch ein paar Tischtennisbälle zu Hause, wenn das so wichtig für Sie ist."

"Hast Du gehört, da war eine Stimme in der Leitung.", sagt die Frauenstimme.

"Hallo, hallo!", ruft die Männerstimme.

"Hallo!", antworte ich.

"Hallo!" ruft nun auch die Frauenstimme.

Eine Zeitlang hört man gar nichts.

"Hallo?", sage ich.

"Ja, hallo, wer sind Sie?", fragt die Männerstimme.

"Bert Norden, Sportartikel und Kinderspielwaren en gros und en detail.", antworte ich.

"Hallo!", sagt die Frauenstimme ganz überflüssigerweise.

"Wie kommen Sie in unser Gespräch?", fragt die Männerstimme.

"Ich wollte die Susi anrufen, und wie ich den Hörer abnehme, höre ich Sie Ach-du-meine-Güte sagen."

"Das war nicht ich.", sagt die Männerstimme.

"Wer ist die Susi?", fragt gleichzeitig die Frauenstimme.

"Und Sie hätten wirklich ein paar Tischtennisbälle für uns?" fragt die Männerstimme.

"Meine Freundin.", antworte ich. "Eigentlich habe ich das Geschäft schon geschlossen, aber wenn das so wichtig ist, dann können Sie gerne vorbeikommen und sich ein paar abholen!"

"Das wäre aber sehr nett!", sagt die Männerstimme, "Wie lautet Ihre Adresse?"

Da kracht es in der Leitung, ich höre nur noch tut tut tut ...

"Hallo?", sagt die Frauenstimme wohl, aber ich kann sie nicht mehr hören.

Nie werde ich erfahren, wozu die beiden so dringend Tischtennisbälle gebraucht hätten.

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HARRY BELAFONTE TELEFONIERT MIT HEIDE SCHMIDT

HS: Hallo?

HB: Mathilda?

HS: No. Heide. Heide Schmidt.

HB: Oh, hello Mrs. Heide Schmidt. How are You?

HS: Thanks. I'm fine.

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NOCH EIN GESCHEITERTES TELEFONAT:

O: Obereder!

W (sehr freundlich): Guten Tag. Hier spricht Sabrina Winkler von den Oberösterreichischen Nachrichten. Frau Obereder: Sie haben jetzt zwei Wochen lang die Oberösterreichischen Nachrichten im Probeabonnement bezogen, und ich möchte Sie fragen, ob Sie mit der Zustellung zufrieden waren.

O (grantig): Weeer spricht do?

W: Sabrina Winkler von den Oberösterreichischen Nachrichten.

O: Winkla. Kenn ich nicht. Winkla, Winkla, san Se vielleicht mitn Fleischhacker vawont?

W: Nein. Ich rufe wegen Ihres Probeabonnements der Oberösterreichischen Nachrichten an.

O (etwas versöhnlicher): Weil unsa Fleichhocka, dea haßt a Winkla.

Kurze Pause

O: Hallo?

W: Ja, Frau Obereder. Haben Sie die Oberösterreichischen Nachrichten bekommen?

O: De Zeidung?

W: Ja. Frau Obereder, Sie haben doch die Oberösterreichische Nachrichten im Probeabonnement bezogen. Und ich würde gern wissen, ob Sie damit zufrieden sind?

O: Um waos geht's do eigentlich?

W: Ich möchte Ihnen ein tolles Angebot machen: Sie bekommen die Oberösterreichischen Nachrichten weitere sechs Wochen zu einem Einführungspreis, und wenn Sie sie dann weiter beziehen möchten, ...

O: Fia die Fleischhockazeidung hob i no nia wos zoid!

Sabrina Winkler, die eigentlich Maria Kaiser heißt, legt auf, atmet ein paar Mal tief durch und wählt dann die nächste Nummer ihrer Liste.

Frau Obereder zuckt mit den Schultern, legt auch auf und schimpft dann mit ihrem Enkelkind, das während des Telefongesprächs eine ganze Dose Niveacreme auf den Boden geschmiert hat.

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WENN WOLFGANG SPRICHT

"Nein, jetzt hörst du mir zu", unterbrach ihn Helga. Unnützerweise, denn wenn Wolfgang redete, pflegte er nicht zuzuhören, und war daher auch für derlei Ermahnungen nicht empfänglich. Seine Ausführungen leitete er gewöhnlich mit "Pass auf, jetzt werde ICH dir etwas sagen!" ein. Daraufhin folgte üblicherweise ein kurzer Abriss der politischen Geschichte der letzten 200 Jahre, die dann in das Problemfeld mündete, über das er sich auslassen wollte. Und darauf wieder folgte seine Sicht der Dinge, und die Schilderung dessen, was er tun würde, wenn man ihn nur fragte.

Aber kaum jemand machte mehr den Fehler, ihn irgendetwas zu fragen, es sei denn jemand, der seine Gewohnheiten, über alles dozieren zu müssen, noch nicht kannte. Keine noch so einfache Frage wollte er ebenso einfach beantworten. Er wusste vielmehr jedes Problem in einen größeren Problemkreis einzubetten, über den er sich zuerst breit ausließ, um dann erst zur Beantwortung der Frage überzugehen. Zu einem Zeitpunkt allerdings, an dem die meisten GesprächsparterInnen bereits ausgestiegen waren. Dies bemerkte er kaum, denn ihm fehlte die Gabe, aus den Gesichtsausdrücken seiner Gegenüber Interesse oder Langweile heraus zu lesen. Seine dominante Erscheinung wiederum verhinderte, dass gelangweilte GesprächsparterInnen von etwas anderem zu sprechen begannen oder es gar wagten, ihn zu unterbrechen. Selbst einem imperativen Harndrang nachzugehen war schwer, wenn er sich in Fahrt geredet hatte.

Und daher war es für Helga ein sinnloses Unterfangen, ihn unterbrechen zu wollen. Wie üblich war es ihr wieder nicht möglich seinen Redeschwall zu stoppen. Das einzige, was ihn stoppen konnte war das Telefon, dessen Läutton Helga absichtlich extra laut eingestellt hatte, um ihm den Anschein höherer Dringlichkeit zu verleihen.

Nun waren allerdings auch Telefonanrufe eine Seltenheit, denn wer Wolfgang kannte, vermied es mit Rücksicht auf die Telefonrechnung tunlichst, ihn anzurufen.

Diesmal war Helga aber entschlossen, ihm nach all den Jahren seine kommunikative Unfähigkeit in aller Deutlichkeit mitzuteilen.

Sie hatte zwar mittlerweile ein beachtliches Repertoire an Störmanövern entwickelt, mit denen es ihr gelang, die Monologe von Wolfgang zu unterbrechen, aber verstanden hatte er das nie. Zum Beispiel nahm sie, wenn er wieder einmal endlos dozierte, einen Luftballon aus der Schublade und blies ihn so lange auf, bis er platzte. Kurz konnte sie dann Wolfgangs Erstummen und sein ratloses Gesicht genießen, das aber bald den Ausdruck eines gequälten Verständnisses für den Scherz eines dummen Kindes annahm. In diesen Momenten hasste sie ihn.

Daran, dass sie sich, wenn sie mit Wolfgang alleine war, in eine innere Emigration zurückzog, war sie gewohnt, und es macht ihr auch nicht allzu viel aus. Was sie aber unendlich störte, war die zunehmende Isolation, in die sie ihr Zusammensein mit Wolfgang führte: Viele Leute mieden es bereits, sich mit ihnen zu treffen, und wenn dennoch einmal Bekannte vorbeischauten, dann machte Wolfgang jedes Gespräch unmöglich.

Helga war nun fest entschlossen, Wolfgang, wenn es sein muss, zu fesseln und zu knebeln, doch im Zuge des daraufhin entstandenen Gerangels bemerkte sie, dass Wolfgang ausschließlich auf Output geschaltet war, und Input war einfach nicht vorgesehen.

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JEROME LESLEY-FINSTERKRUTH: DIE NACHT DES SCHNEIDERS

Ich bin Schneider. Jede Nacht sitze ich an meiner Nähmaschine und arbeite. Meine Nähmaschine ist ein gutes Fabrikat: Sie läuft ruhig und gleichmäßig. Nur nach Mitternacht kommt mir ihr Geräusch dann doch etwas laut vor, und ich habe Angst, es könnte meine Nachbarn stören. Da sie mich aber immer noch freundlich grüßen, dürften sie nichts hören.

Wenn dann um sechs Uhr morgens draußen der Verkehr anhebt, wundere ich mich, dass ich das Arbeitsgeräusch der Nähmaschine vor kurzem noch als laut empfunden hatte.

Manchmal, wenn mein Rücken vom langen Sitzen schmerzt, stehe ich auf und trete ans Fenster. Dabei kann es sein, dass ich von dem, was ich sehe, abgelenkt werde und länger beim Fenster verweile, als ich vorgehabt hatte. Um die Vorgänge ungesehen beobachten zu können, schalte ich das Licht ab.

Besonders interessiert mich das Fenster, das meinem Fenster gegenüber liegt. Wer genau dort wohnt habe ich noch nicht feststellen können.

An einem der ersten Tage in meiner neuen Wohnung, habe ich durch dieses Fenster eine junge Frau gesehen, die sich entkleidete. Ich stieg auf einen Sessel, um das Geschehen besser beobachten zu können. In meinem Zimmer war kein Licht, die Gardinen waren zugezogen und ich hatte dunkles Gewand an. Daher konnte ich von ihr unmöglich entdeckt werden. Und dennoch blickte mir die junge Frau plötzlich direkt in die Augen und verschwand in ihrem Zimmer. Dann ging das Licht aus, und als es wieder anging, waren die Vorhänge geschlossen.

Ein paar Tage später – es war an einem Vormittag – sah ich in ebendiesem Zimmer eine andere junge Frau. Sie war sehr spärlich gekleidet und werkte mit einem Staubsauger. Dabei rutschte ihr immer wieder die Unterhose nach unten. Sie zupfte sie dann zurecht und saugte weiter. Dabei war es ihr anscheinend vollkommen egal, dass ihr Fenster offen stand, und ich – an der gegenüberliegenden Straßenseite – am offenen Fenster stand und eine Zigarette rauchte.

Die Fensterscheiben meines Zimmers sind schon sehr alt und nicht mehr glatt. Wenn ich mich bewege, während ich zum Fenster hinausschaue, dann bewirkt das, dass sich die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite ebenfalls zu bewegen scheinen. Wenn ich an einer bestimmten Stelle stehe und mich leicht bewege, dann bleibt der Gehsteig ruhig. Die Häuser aber vollführen wellenartige Bewegungen. Dieses Spiel fasziniert mich, und ich kann lange vor dem Fenster stehen und die Häuser auf der anderen Straßenseite tanzen lassen.

Gestern aber ist etwas passiert: Das Dach eines Hauses, das ich gerne tanzen lasse, wurde repariert. Zu diesem Zweck hantierten ein halbes Duzend Dachdecker in für mich schwindelerregender Höhe. Dabei liefen sie auf dem steilen Dach umher, als bewegten sie sich auf sicherem Boden. Ich wagte fast nicht hinzuschauen, so als würden meine Blicke die Dachdecker in Gefahr bringen. Schließlich aber zwang ich mich, nicht nur hinzuschauen, sondern mich auch dabei so zu bewegen, dass das Haus für meine Augen zu tanzen begann. Was dann geschah, kann ich mir nicht erklären. Die Dachdecker begannen plötzlich zu wanken und um Gleichgewicht zu ringen. Zuerst hielt ich das ebenfalls für eine optische Täuschung, dann aber bemerkte ich, dass alle verzweifelt versuchten, sich irgendwo festzuhalten. Einer rutschte aus und drohte abzustürzen, erst an der Dachrinne gelang es ihm, sich festzuhalten. In einer spektakulären Aktion gelang es seinen Kollegen, ihn wieder auf das Dach zu ziehen. Dabei konzentrierte ich alle meine Kräfte darauf, mich nur ja nicht zu bewegen.

Und morgen lasse ich meine Fenster neu verglasen.

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